Geschrieben am 6. August 2009 von für Litmag, Vermischtes

Ausstellungsbericht: Amedeo Modigliani in Bonn

Ein ,,malender Zeichner“

Amedeo Modigliani – das sind nicht nur die langen Hälse und die leeren Lidspalten. Eine Werkschau in Bonn differenziert unser Bild des Künstlers und macht es leicht, ihn zu lieben. Gisela Trahms hat sich die Ausstellung angesehen.

Was für ein schöner Mann! Neben ihm sieht Picasso aus wie ein Metzger. Und welch ein Leben! Die Armut, der Alkohol, Haschisch, die Frauen… Am Beginn der Bonner Ausstellung zeigt eine Fotowand die Stationen von Livorno bis Paris. Auf der letzten Aufnahme ist er nicht mehr zu erkennen: Bart und Haare verbergen das Gesicht, nur die Augen sprechen überdeutlich. Ausgebrannt, todesmatt. Er stirbt 1920 mit 35 Jahren an tuberkulöser Meningitis und hinterlässt 400 Bilder.

Alles Legende, ein Kinostoff (es gibt tatsächlich einen schönen Schmachtfilm von Jacques Becker aus dem Jahr 1958). Und die Bilder – hat man sie etwa nicht im Kopf? Grüßen sie nicht von tausend Postkarten und Kalendern? Von den 400 Werken zeigen 350 Frauen, meist sind ihre Köpfe, Hälse, Hände gelängt. Ein paar grandiose Akte. Wenig Variationen also, weder thematisch noch stilistisch. Das hat zu seinem Ruhm beigetragen und zu seiner Fälschbarkeit. Auch die Ausstellung in Bonn ist attackiert worden, weil einige der dort gezeigten Bilder zweifelhafter Herkunft sind.

Amedeo Modigliani

Nun, mögen die Experten sich streiten. Wahr bleibt, dass die Ausstellung wunderbar gehängt ist und einige Überraschungen bietet. Man lernt Modigliani, den Zeichner kennen, der mit dünnen, sparsamen Bleistiftstrichen auf billigem Papier seine Vorstudien zu den Gemälden skizziert. Einige wirken dürftig, andere sind voller Leben und von meisterhaftem Strich (z.B. ein hinreißender Picasso-Kopf oder die knieenden Karyatiden, ganz Schwung und Vitalität). Man erfährt, wie sehr er auch ein Maler der Männer war: Der Mexikaner Diego Rivera, Frida Kahlos Lebensplage und damals gerade in Paris, ein Fleischkoloss ohne jeden Hals, quillt schier über die Leinwand hinaus. Der Dichter Max Jacob strahlt Lebensfreude und Pfiffigkeit aus. Ein wunderbares Portrait – allerdings nicht ähnlich. Ähnlichkeit interessiert Modigliani nur selten, auch nicht die psychologische. Ein Mensch ist ein Anlass für ein Bild, das eigenen Gesetzen folgt.

Melancholie, die anrührt

Noch beeindruckender sind die Darstellungen von Kindern und Jugendlichen. Heller in den Farben, zarter in den Umrissen, verströmen auch sie eine Melancholie, die umso tiefer anrührt. Der vielleicht fünfzehnjährige Lehrling sitzt auf seinem Stuhl, als spüre er die 50 Jahre monotoner Arbeit, die ihn erwarten, schon in den Knochen. Gleichzeitig wirkt er noch wie ein Kind, ganz in sich gekehrt, die Farbgebung ist delikat, sozusagen unschuldig.
Selbst jene Säle, die den Frauenporträts gewidmet sind, zeigen mehr als den Modigliani, den man kennt. Sie demonstrieren vor allem, wie genau er die italienische Renaissance studiert und internalisiert hatte. Die langen Hälse – das ist ja Botticelli. Die fragilen, anmutigen Körper – Fra Angelico grüßt. Die „gezeichneten“ Nasen, Münder, Augen wirken wie eine Reverenz an das Florentiner Konzept des „disegno“, das die toskanische von der venezianischen Malerei unterschied.

„Modi“, wie man ihn in Paris nannte, blieb immer der Italiener, nicht nur, weil er in Samtanzug und Cape Puccinis „La Bohème“ entstiegen zu sein schien, sondern einer speziellen Eleganz wegen, die noch die düsteren Bilder erhellt. Obwohl er in vielen Werken ein „malender Zeichner“ war und sozusagen Umrisslinien mit Farbe ausfüllte, flächig, oft monochrom (und auch dadurch so leicht zu fälschen war und angeblich schon zu Lebzeiten gefälscht wurde), obwohl er also auf die Raumwirkung der Farben weitgehend verzichtet und dadurch die üblichen Erwartungen an ein Bild unterläuft, hält er an Harmonie der Proportionen und bellezza fest. Und genau deshalb werden seine Bilder schon kurz nach seinem Tod populär und bleiben es bis heute. Sie sind leicht zu lieben.

Die Ausstellung in Bonn folgt diesem einfachen Prinzip. Die Bilder haben genügend Platz, um sich in ihrer Individualität zu entfalten. Die begleitenden Informationen sind sinnvoll, die auf die Wände gedruckten Statements von Zeitgenossen unaufdringlich, außerdem gibt es einen schön fotografierten und geschnittenen Dokumentarfilm über Leben und Werk. Seit der Düsseldorfer Schau von 1991 sind 18 Jahre vergangen. Die Bonner Präsentation hält keine „neue Sicht“, keine „sensationellen Entdeckungen“ bereit. Sie erweitert das allzu schlichte Bild, das man von Modigliani hat. Und sie tut einfach sehr wohl.

Gisela Trahms

Gemälde: Jeanne Hèbuterne, 1918 , A. Modigliani

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