Geschrieben am 18. September 2007 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Bleierne Solidarität und Pietas

Ein letztes Mal zur RAF

In diesen Tagen koennte man wieder fromm und bibelgläubig werden. Auf allen Kanälen, in allen Feuilletons der Zeitungen wird an den September vor 30 Jahren, an die RAF, an den „deutschen Herbst“ erinnert. Ein Bombardemsent an Worten, Bildern und Zeichen, um an ein Bombardement mit Waffen zu erinnern. Und den besten Kommentar dazu findet man im Matthäus-Evangelium Kapitel 8 Vers 22: „Laß die Toten ihre Toten begraben“. Die Toten der ‚bleiernen Zeit’ sind betrauert und begraben. Wen, außer selbstverständlich den Angehörigen der Opfer und die Strafverfolgungsbehörden, interessiert es denn noch, wer wann wo wen erschossen hat, wer wen mit welchen Forderungen entführt hat, wann wer wen gefangen hat? Und ob man in den Stammheimer Zellen hätte mehr Abhörwanzen anbringen koennen oder nicht. What sells – außer natürlich für den SPIEGEL-Herausgeber Stefan Aust, der von Stammheim offensichtlich ebenso obsessiv besetzt ist wie dazumal sein Vorgänger von der Frage nach der wirklichen Existenz Jesu von Nazareth. Laß doch die Toten ihre Toten begraben…Aber wenn man die noch sehr lebendigen RAF-Kronzeugen ( Book vorneweg) in den diversen Medien über ihre Vergangenheit plaudern hört, will man den Toten doch noch nicht ihre verdiente Ruhe gönnen. „Dieses Fehlen von ‚Pietas‘“, wie es der italienische Schriftsteller Claudio Magris einmal über Verdrängungen ehemaliger Linker schrieb, „von einem empfindsamen Mitleid gegenüber den Opfern von früher, verrät doch nur, wie wenig gewissenhaft man sich seiner eigenen Vergangenheit gestellt hat.“ Nicht nur für die Angehörigen der Opfer von Attentaten der RAF ist dieser Zynismus des Verdrängens und diese Eloquenz des Vergessens schwer erträglich.

Wir hier – die Schweine dort

Aber was scheren den ehemaligen RAF-Exekutoren und den Ex-Streetfighter vom Frankfurter Westend die Taten von gestern…? Diese Floskel vom „längst vergessenen Schnee von gestern“, diese so ambivalente Haltung gegenüber einer vollkommen realitätsblinden, Leben vernichtenden „Stadtguerilla“ hat aber auch Opfer gekostet. Und zwar nicht nur Opfer ‚auf der anderen Seite’ des terroristischen Weltbildes „von uns hier und dem ‚Schweinesystem’ da, sondern auch Opfer im Inneren der „linken Großfamilie“ jener Jahre. Ein Beispiel von vielen, aber ein sehr spektakuläres Beispiel: die Rede von Joschka Fischer auf dem Frankfurter „Anti-Repressionskongress“ im Jahre 1976 bewegte sich, bei aller Distanzierung von terroristischer Gewalt, immer noch im Rahmen jener schrecklichen „bleiernen Solidarität“ (Jürgen Seifert), die alle, die sich ebenfalls einer „antifaschistischen Tradition“ zuordnen wollten, oft den Hals zugeschnürt hat. „Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört“… So verhunzte man in jenen Jahren einen für viele Menschen zum Beispiel im anti-nazistischen Untergrundkampf wertvollen Begriff der Solidarität. Wie konnte man nach den vielen Mordaktionen der RAF bis 1976 noch von „Genossen im Untergrund“ sprechen? Das alles sind zugegeben tempi passati und die „Madame Geschichte“ (Rosa Luxemburg) hat bereits das ihrige dazu gesagt. Aber fielen der unentwegt geforderten Solidarität mit den Genossen in den Gefängnissen nicht auch alle intellektuellen wie politischen Initiativen zum „Opfer“, die sich mit guten historischen wie moralischen Gründen dem würgenden „Solidaritätszwang“ nicht unterordnen wollten? „Und taucht irgendwo einmal das Problem der Gewalt von unten praktisch auf, da finden ( die ‚Gegner dieser Gewalt’ ) zu nichts anderem als zu erschreckender Distanzierung oder maximal zu bürokratischer Belehrung über die Sinnlosigkeit solcher Gewalt“ (aus der „Sponti-Rede“ vorgetragen von Joschka Fischer, zu der sich der Außenminister Fischer übrigens niemals geäußert hat). Und diese damals von einem Teil der Linken gepflegte Kultur des unverantwortlich eingesetzten radikalen Wortes ist bis heute tief in dem Elephantengedächtnis derjenigen eingeprägt, die auf dem Weg zu einer gerechteren, humanen Gesellschaft als sie der Kapitalismus bot ( und bietet ) diese Unbedingtheit politischen Handels nicht mitzugehen bereit waren.

Kapitalismus führt zum Faschismus

Und hat nicht auch diese damalige Radikalität nicht weniger „Extremisten von gestern und politischen Dirigenten von heute“ (Magris) über biographische Verwundungen hinaus verheerende Folgen auf die „politische Kultur“ in Deutschland gehabt? Mit dieser locker-flockigen Zweideutigkeit gegenüber der terroristischen Gewalt, dieser hohlen Arroganz gegenüber den Werten einer „bürgerlichen Gesellschaft“ wurden Konzepte politischer Veränderung und Emanzipation, von Reform und Demokratisierung bis heute gründlich diskreditiert. Und damit auch viele derjenigen in die Resignation getrieben, die an diesen Zielen festhalten wollten – und wollen. „Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muss weg“ skandierte man in Teilen der politischen Linken jener Jahre und verhöhnte mit Abzählreimen dieses Niveaus die Differenziertheit von Gesellschaftsanalysen wie sie auch damals bereits etwa im weiteren Umfeld des „westlichen Marxismus“ (Perry Anderson) vorlagen. Die Terroristen der RAF haben Spuren der Destruktion und Verzweiflung auch dort hinterlassen, wo man vielleicht eine zeitlang mit einem verwandten Vokabular und ähnlichen Hoffnungen auf Gesellschaftsveränderung auf den Strassen demonstrierte. Aber wer spricht denn zum Beispiel heute noch von den vielen psychischen Wracks, den entmutigten und radikal desillusionierten kleinen „Wasserträgern“ in jenen sozialen Bewegungen der Siebzigerjahre? Dass sie in den Drehbüchern, historischen Dossiers und literarischen Memoiren Erwähnung finden, die jetzt bereits mediengerecht zum Jahr 2008, dem 40jährigen „Geburtstag der ‚68-Generation“ geschrieben werden, ist nicht zu erwarten. Aber vielleicht wird es auch in einem Jahr besser sein, die Bibel zu lesen ….

Carl Wilhelm Macke