Geschrieben am 20. Februar 2004 von für Litmag, Porträts / Interviews

Christian Kracht im Gespräch

Christian Kracht: Der unzuverlässige Erzähler

Dekadent, provozierend, rätselhaft – Ein Interview mit einem Autor, der Interviews hasst.

1995, als die Begriffe „Popliteratur“, „Generation Golf“ und „Tristesse Royale“ noch nicht durch die Medien kreisten, schrieb Christian Kracht einen Roman über einen jungen Mann, der teilnahmslos durch das sinn- und morallose Deutschland der reichen, hippen und hedonistischen Partygeneration reist. Von Sylt bis zum Bodensee, von der einen Sex- und Drogenparty zur nächsten. Trotz schlechter Kritiken wurde „Faserland“ zum Kultbuch einer Generation und Auslöser der „Popliteratur“-Welle, die von Fans als „neue Lust am Erzählen“ gefeiert, von Verächtern als juveniler Jokus verdammt wurde.

2001, 6 Jahre danach, legte Christian Kracht den Roman „1979“ vor, der so wenig „pop“ ist, dass die Kritiker irritiert waren. Wie kann ein solches Werk von einem Autor stammen, den man als unreifen Schnösel und genusssüchtiges Enfant terrible eingeordnet hat? Einerseits ein naiver Romanheld, der vom opulentluxuriösen Schah-Regime Irans in die grausame Realität eines chinesischen Straflagers gerät – ein postmoderner Weltenreisender vom Format eines Candide oder Parzival, faszinierend bis verstörend in seiner Einfältigkeit, unfähig einen Sinn zu erkennen. Andererseits der Autor: Gebürtiger Schweizer, ehemaliger Salemer Internatsschüler, zwanghafter Kosmopolit, blond, braungebrannt und wohlgekleidet. Dekadenter Partygänger, wohnhaft in der ehemaligen jugoslawischen Botschaft in Bangkok und von Haus aus reich. Ein Widerspruch, dem nachzugehen vielversprechend scheint.

Doch leider verhält es sich mit Christian Kracht wie mit einem Kind, das gezwungen wird, seine Hausaufgaben zu machen und doch viel lieber mit Playmobil spielen würde. Ein Interview mit ernsten Fragen mag er nicht, lieber locker über Meteoriteneinschläge, Bin-Laden-T-Shirts oder Sandflöhe auf Koh Chang plaudern. Er willigt selten zu einem Interview ein und steht mittendrin auf und sagt: „Ich gehe jetzt“. Dann muss man sich etwas einfallen lassen, damit er umdreht, sein Glas erneut mit Champus füllt und weiterredet. Ist seine Neugierde erst einmal geweckt, bleibt er. Das Erstaunliche: Trotz allem Getue ist er nicht unsympathisch, jemand mit dem man gern einen trinken geht. Seine 24-Stunden-Dauershow hat nicht nur Stil, auch Persönlichkeit.

Wie ernst man Krachts Äußerungen nehmen sollte, bleibt ungewiss. Er gibt die Vorstellung des phantasievollen Dandys, sprachgewandt wie Oscar Wilde, mit der Fabulierlust eines Bänkelsängers, beantwortet zwei, drei Fragen mit einem Wahrheitsgehalt, den man getrost anzweifeln kann – etwa dass er noch nie Drogen genommen und in seinem Leben nicht mehr als drei Interviews gegeben habe („Das hier ist mein drittes, ohne Scherz.“) – um sich nach der nächsten Frage ausweichend zu entziehen: „Sie stellen gute Fragen. Ich muss erst mal eine rauchen.“ So inszeniert er um seine Person dieselbe Aura des Rätselhaften, die seinen Roman „1979“ umgibt. Wie eine leere Tafel, eine Projetkionsfläche, in die man viel hineininterpretieren kann.

Kracht genießt es, mit dem Bild zu spielen, das von ihm gezeichnet wird. Da erkennt die Pressewelt in ihm gerade den anspruchsvollen Schriftsteller, der ein kritisches Buch über einen Helden geschrieben hat, dem fast alles im Leben zur Geschmacksfrage geworden ist; der durch die Schrecken von gewalttätiger Politik, Askese und der Hölle eines chinesischen Umerziehungslagers geläutert wird, sich am Ende von auf der Latrine gezüchteten Maden ernährt und von sich sagt: „Ich habe mich gebessert“. Und schon wartet der Autor mit einem Interview in der FAZ auf, „das Extremwerte auf der nach unten offenen Stockhausen-Skala erreicht“, in dem er damit provoziert, Osama bin Laden und das Taliban-Regime nach ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen und für den Westen ein Bilderverbot nach islamischen Vorbild zu fordern. „Das Interview in der FAZ war ein gutes“, erklärt Kracht, „weil es ein existierendes Bild von mir zertrümmert hat.“

Seine literarische Qualität scheint Kracht dagegen nicht so hoch einzuschätzen: „Was ich mache, ist im Vergleich zu einem wie Helmut Krausser absolute Oberfläche.“ Ganz ernst meint er das natürlich nicht, denn als das Gespräch auf die Flut guter Besprechungen zu „1979“ kommt, springt er auf und freut sich wie ein Golfspieler, der ein Turnier gewonnen hat. Überhaupt ein typisches Muster seines Gesprächsverhaltens: erst stellt er eine kaum haltbare These auf, etwa die, dass er die vielen Vorbilder, die unzählige Kritiker in seinem Text ausgemacht haben, niemals gelesen habe – kein Huysmans, kein Robert Byron, kein Freiherr von Ungern-Sternberg. Weiß aber doch mit Details aufzuweisen, wenn man ihn mit seinen selbstbehaupteten Defiziten provoziert. Aus dem Schatten des Nichtwissens zurück ins Zwielicht des Fragwürdigen. Verschleierung als Masche.

So wie „Faserland“ als Ausgangspunkt der Popliteratur eingestuft wurde, lässt sich „1979“ als Abgesang einer sich totlaufenden „Pop“-Welle lesen. Zwischen den Helden aus „Faserland“ und „1979“ sieht Kracht allerdings keinen prinzipiellen Unterschied. „Nur die Rahmenbedingungen sind andere. In Faserland war es Deutschland, jetzt die ganze Welt. Beide Helden gehen gegen Null“, distanziert er sich von Figuren, die auch er unsympathisch finde: „Richtige Biester, dumme nichtssagende Menschen, nur als Projekt interessant.“ Der einzige Unterschied liege im Stil. Der Erzähler von „Faserland“ sei amüsanter. „Er hat etwas Ungenaues, Unkorrektes. Ein Lügner erzählt eine Geschichte und filtert sie nach seinem eigenen Denken.“ Woraufhin Kracht beginnt, von all den anderen unzuverlässigen Erzählern der Weltliteratur zu schwärmen, die er kennt. Und vielleicht ist diese kurz aufblitzende Leidenschaft für sympathische Lügenbarone die genaueste Selbstanalyse des Gesprächs. Ungewollt, aber treffend. Ein ungreifbarer Magier reißt für eine Sekunde sämtliche Masken ab, um sofort wieder in die Rolle des charmanten, janusköpfigen Filou zu schlüpfen und die nächste Mär zu spinnen.

Markus Kuhn