Geschrieben am 6. Mai 2009 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Der Rosenkrieg im Hause Berlusconi

Das Private ist politisch

Das klassische Gerüst einer funktionierenden Demokratie hat Berlusconi im Stil eines sich barock kostümierenden Kim Il Sung des Westens immer mehr aus seinen politischen Befestigungen gelöst. Unterstützt und beraten von einem ihm ergebenen Hofstaat (in den Parlamenten und den Medien), hat er konsequent auch das Private politisch für sich und seine Macht zu nutzen versucht. Carl Wilhelm Macke über den „größte Privatisierer der Politik unter allen derzeit politisch Mächtigen“.

Jene konservative Manie, jedes Übel der Jetztzeit irgendwie den schlimmen anti-autoritären, unpatriotischen, gewaltverherrlichenden, kinderverderbenden „68ern“ anzulasten, scheint langsam zu verblühen. In den Billigantiquariaten häufen sich jedenfalls die Autobiographien und Biographien, die Streitschriften und Polemiken, in denen mit den schlimmen Jahren unserer Republik, mit dem Verfall der guten, alten Werte und der Zerstörung von heiler Kleinfamilie- und den Lobeshymnen auf die multikulturellen Kommunen abgerechnet wird. Es scheint, dass niemand mehr dieses Endlosband des Jammerns, Rechthabens, aber auch der Verklärung und Nostalgie der angeblich so kulturrevolutionären Zeit hören kann und will. Und, mit dem großen Berliner Lokalpolitiker Wowereit gesprochen, „es ist auch gut so“.

Manchmal aber wird man dann doch wieder plötzlich und unerwartet mit Slogans aus den Jahren der ‚weltweiten Studentenrevolte’ konfrontiert, deren Sinn aber inzwischen ins Gegenteil des einmal Erhofften gewendet worden ist. Zur Erinnerung: am Ende der ‚proletarischen’, nicht selten auch stalinistischen „Eisen- und Stahlzeit’ der antiautoritär begonnenen 68er Studentenbewegung, wurden allmählich weichere Themen und lange Zeit tabuisierte Gefühle wieder zugelassen. Verboten hatte sie ja eigentlich niemand, aber irgendwie glaubten viele Akteure der diversen durch die Städte ziehenden Demonstrationen, Liebe & Triebe zugunsten der Befreiung aller Verdammten der Erde, von Neuguinea bis Opel-Rüsselsheim unterdrücken zu müssen. „Das Private ist politisch“ war dann die Tageslosung, an der in den Kneipen der Szene nächtelang herumgeknabbert und –gelabert wurde. Wer mit wem wieviele Nächte verbrachte, warum man welche Unterwäsche trug und warum man Tränen nicht unterdrücken sollte. Das „System“- das kapitalistisch-bürgerliche natürlich, was denn sonst – war nur zu überwinden, wenn alle alle ihre Gefühle offenlegen.

Karriere eines Slogans

Die Angst im Kapitalismus hieß ein Beststeller jener Jahre, in dem ein softig-bärtiger Volkswirtschaftler die Angst vor Zärtlichkeit und Leidenschaft mit der Übermacht des Kapitalverhältnisses erklärte. Bücher mit diesen einfach gestrickten Psycho- und Gesellschaftsanalysen sind längst nicht mehr im Handel und nicht einmal mehr über ebay zu kaufen. Der Slogan aber, nach dem das Private politisch sei, geboren in den Wohngemeinschaftsküchen und auf den Straßendemonstrationen der sechziger, siebziger Jahre, hat eine erstaunliche Karriere von politisch weit ‚links’ bis hinein in die Villen, Fernsehstudios und Redaktionen der ‚Großen, Schönen und Mächtigen’ von heute gemacht.

Aktuelles Beispiel – natürlich – der ‚Rosenkrieg’ im Hause Berlusconi. Aber man könnte auch Monsieur Sarkozy und Madame Carla oder – etwas zurückliegend – das Ehepaar Clinton anführen. Das Phänomen ist weltweit verbreitet, doch bleiben wir in Italien. Mit einer atemberaubenden Konsequenz hat Silvio Berlusconi in den letzten Jahren – oder sind es jetzt schon Jahrzehnte – versucht, das politische System Italiens in sein eigenes Firmenimperium einzugliedern. Diese, weiß Gott, von großen Teilen der italienischen Wahlbevölkerung keineswegs als ‚feindlich’ angesehene Übernahmestrategie ist ihm, von Ausnahmen abgesehen, auch gelungen.

Neudefinition des Politischen

Das klassische Gerüst einer funktionierenden Demokratie (Gewaltenteilung, Medien als Kontrollorgane der Regierenden, Akzeptanz des politischen Machtwechsels usw.) hat Berlusconi im Stil eines sich barock kostümierenden Kim Il Sung des Westens, immer mehr aus seinen politischen Befestigungen gelöst. Unterstützt und beraten von einem ihm ergebenen Hofstaat (in den Parlamenten und den Medien), hat er konsequent auch das Private politisch für sich und seine Macht zu nutzen versucht. Auf den Titelseiten – nicht nur seiner Hauspostillen – wurden seine diversen kosmetischen Operationen genauso thematisiert wie seine präsenilen Annäherungen an vollbusige Soubretten oder seine spätpubertären Witze auf Treffen mit Repräsentanten anderer Länder. Für ihn war (und ist es immer noch) alles Private auch politisch, solange es ihm, seinem Reichtum, seiner Medienmacht, seinem Potenzgehabe diente. Dass jetzt seine „Ex-Ehefrau“ Veronica Lario mit gezielt lancierten öffentlichen Interviews auch ihr Privatleben zum Gegenstand einer explodierenden Medienkampagne in Italien macht, überrascht niemanden. Es geht bei dieser Scheidung auch um Geld, viel Geld….

Über Politik wurde am Hofe von Re Silvio nie gesprochen – auch nicht zu den Zeiten, als das Paar noch ‚con passione e amore’ in der Villa Arcore unweit von Mailand residierte. Berlusconi, der seit Jahr und Tag gegen die moralische Verkommenheit der politischen Linken, angefangen vom Stalinismus über die 68er bis hin zu den sozialen Katholiken der heutigen Oppositionspartei polemisiert, ist gleichzeitig der „größte Privatisierer der Politik unter allen derzeit politisch Mächtigen“ (Barbara Spinelli). So aber war das nicht gemeint als in jenen heute weit zurückliegenden Zeiten der studentischen Rebellion alles Private zum Politikum erklärt wurde. Oder war man damals zu naiv, um die Folgen einer gut gemeinten neuen Definition des Politischen zu überblicken? „In dem Moment“, so die ebenfalls 1968 politisierte Barbara Spinelli in ihrem glänzenden Kommentar für die Turiner Tageszeitung La Stampa weiter, „in dem alles Private politisch wird, zerstören wir die Politik“. Eine späte Einsicht.