Geschrieben am 9. Oktober 2013 von für Comic, Litmag

Die Toten, Zyklus 2.1

zwerchfell-dietoten4Gute Zeiten für Endzeitcomics

– Fulda, Herbst 1983. Über der Stadt am äußersten östlichen Rande Hessens liegt Rauch und Nässe, und spätestens seit überall in der Stadt amerikanische und bundesdeutsche Panzer zu sehen sind, herrscht unbestimmte Angst vor der Endzeit: Das Manöver »Able Archer«, das die Welt um ein Haar tatsächlich in den Abgrund gerissen hätte, beginnt. Die Regierung Schmidt hat den sog. Nato-Nachrüstungsbeschluss, nach welchem dem Warschauer Pakt zwar Abrüstungsgespräche angeboten, gleichzeitig aber die neuesten atomwaffenfähigen Waffensysteme in Deutschland stationiert werden sollten  umgesetzt, aber jetzt sitzt plötzlich der König aus der Pfalz auf dem Kanzlersessel, garantiert jedem Ausbildungswilligen eine Lehrstelle, verschärft den Ton gegenüber dem Osten.

Denjenigen, die ohnehin schon immer Angst vor einem apokalyptischen Endzeitszenario hatten, rückt die Bedrohung umso näher, wenn sie sich das pg257hübsche Barockstädtchen anschauen, das von schwerem Kriegsgerät zu bersten scheint. Dazu muss man sich vor Augen führen, dass ein paar Kilometer östlich die unmenschlichste Grenze Europas Deutschland in Zwei teilt und das militärische Verteidigungsszenario names »Fulda-Gap«, nach dem von Fulda nur ein großes Loch bleiben würde, um den Truppen des Warschauer Paktes, im Falle eines Angriffs, das Eindringen zu erschweren. Der Begriff »German Angst« kam vermutlich in dieser Zeit in die Welt.

Aus genau dieser Ecke der Republik stammt dann auch folgerichtig die Antwort auf das, was heute gern »die bleierne Zeit«, also die 16 Jahre anhaltende Regierung Kohl, genannt wird. Die Angst vor einem dritten Weltkrieg, die drohende Verseuchung der Umwelt durch Ruß, Staub, Strahlung oder Gift, all das entwickelte sich zum idealen Nährboden für eines der bis heute wichtigsten Comicmagazine Deutschlands: »Menschenblut«. Menschenblut war Horror, Endzeit und Splatter, gemacht von drei jungen Burschen aus der Rhön, nahe Fulda: Michael Hau, Rochus Hahn und Michael Möller. Damit gab das Magazin den Ängsten, die damalige Teen und Twens umtrieben, bildgewaltigen Ausdruck.

Menschenblut Nr. 35

Vor allem aber, Menschenblut war kompromisslos. So kompromisslos, das es nach 10 Ausgaben auf dem Index landete und mit einer Dauerindizierung bedroht wurde – manche Quellen sprechen auch davon, dass das Magazin tatsächlich mit 10 Jahren Publikationsverbot belegt wurde. In einer Zeit also, die Konservative nach wie vor gern als güldene Hoch-Zeit beschreiben, blühten vor allem Alpträume von der Endzeit. »Mad Max« fällt genau in dieselbe Zeit und steht exemplarisch für die Geburt eines ganzen Genres in der Welt.

Kohls Enkelin und die Zombies

Betrachtet man diese Vorgeschichte, ist es gar nicht so verwunderlich, dass derzeit das »Zombie-Genre« prächtig wächst. Kohls »Enkelin« regiert und der Konservativismus blüht weltweit, so sehr, dass man um die Demokratie, etwa in Ungarn, fürchten muss. Ein Indiz dafür, dass konvervative Politik dystopische Endzeitwelten in den Köpfen der Memschen entstehen lässt, ist die feine Serie »Die Toten« aus dem Stuttgarter »Zwerchfell«-Verlag.

»Die Toten« sind einzelne, in sich geschlossene Geschichten aus der Endzeit; Episoden von unterschiedlichen Autorenteams, denen ein Grundszenario gemein ist, nämlich, dass sie in Deutschland nach einer »Zombifizierung« spielen, die weite Teile der Bevölkerung in lebende Tote verwandelt hat. Genau wie bei den aus den 80er Jahren bekannten Endzeitcomics geht es darum, wie man in einer solchen nachkatastrophalen Welt überlebt, wie man es schafft Mensch zu bleiben, trotz des allgegenwärtigen Verfalls und der Unmenschlichkeit.

Die jüngste Ausgabe, »Die Toten« 4 oder besser »Die Toten, Zyklus 2.1« enthält drei knackige Stories, die alle im fiktiven Jahr 2010 spielen und sich dem Thema von völlig unterschiedlichen Seiten nähern.

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Laska privat

»Rauhebergtunnel« von Henning Mühlinghaus (Story) und Laska (Art) schlidert den Versuch einer Gruppe von Menschen, sich entlang einer Eisenbahntrassen nach Norden in Sicherheit zu bringen. Mit reichlich Gemetzel, Blut und Gedärm überlebt nur ein kleiner Teil der Gruppe, Vater, Mutter und Sohn einen Angriff von Zombies. Die geliebte Tochter stirbt in der Schlacht im Tunnel. Der Twist am Ende der Geschichte soll hier nicht verraten werden, nur soviel: ein treuer Hund kann einem bisweilen menschlicher vorkommen als die Überlebenden.

Laska ist das Zeichnerteam bestehend aus Elke Reinhart und Gerhard Schlegel. Ihr Zeichenstil schwankt zwischen Realismus und Funny, die Figuren wirken mitunter etwas steif, aber es gelingt ihnen gut eine unheimliche Athmosphäre zu erzeugen und Paneling, wie auch Storytelling erinnern stellenweise entfernt an die EC-Comics der 50er Jahre, speziell an Künstler wie Jack Kamen und Jack Davis.

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Ingo Römling

Ist »Rauhebergtunnel« noch einigermaßen genretypisch aufgebaut, hat »Hanau«, von Christopher Tauber (Story) und Ingo Römling (Art) nur noch oberflächlich etwas mit Endzeitcomic zu tun. In der Geschichte geht es um eine verlassene Schule in Hanau, in die sich eine Schülerin gerettet hat und versucht zu überleben. Die Endzeit dient hier allerdings nur als Mittel zum Zweck. Im Grunde geht es um Mobbing, Missbrauch und Lügen und ihre Auswirkungen auf die Seele von Menschen. Das Setting stellt einer äußeren, kaputten Welt – der »realen« Welt, in der Zombies  eine ständige tödliche Gefahr darstellen –, eine innere gegenüber, in die Nina, die Heldin der Geschichte, ihre Träume und Wünsche projiziert. Nina ist äußerst geschickt darin, Zombies, die versuchen sie zu überfallen, zu fangen und festzuhalten.

Was anfangs noch wie eine Realitätsflucht erscheint, entstanden aus dem Wunsch zu überleben, stellt sich dann aber als Kampf mit den eigenen inneren Dämonen heraus. Nina zeigt deutliche Zeichen einer Borderline-Persönlichkeit; ihre Fantasiewelt dient im Grunde nur dazu, sich selbst vor ihren eigenen Lügen zu schützen. Harter, aber grandios komponierter Tobak, der dem Leser lange im Kopf bleiben wird, wenn er sich auf den Horror unter dem Horror einlassen will. Ingo Römling gehört mittlerweile zu den bekanntesten deutschen Zeichnern und er wird seinem Ruf als hervorragender, mit allen Wassern gewaschener Zeichner hier voll gerecht. Seine klare Linie, das dramatische Paneling und die schöne schwarz/weiß Balance gehören zum Besten, was die deutsche Zeichnergarde bietet.

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Richtig fies mit einem herrlichen »Tschakka«-Moment am Schluß, ist dann die dritte und letzte Geschichte des Bandes. »Köln«, von Matthias Dinter (Story) und Herr M. (Art). Matthias Dinter, seines Zeichens Drehbuchautor, Regisseur (u.A. »Rohe Ostern«), Comiczeichner und Autor, hat hier einen bösen zeitgeschichtlichen Seitenhieb geführt. Es geht um drei Islamisten, die sich das Chaos zunutze machen und Zombies zu »untoten« Bomben umbauen. Eine an sich äußerst effektive Idee der Massenmordes, wäre da nicht das Problem mit der Steuerbarkeit der seelen- und geistlosen Untoten und das noch größere Problem, wen man eigentlich noch umbringen will, wo der allergrößte Teil der Menscheit untot ist. Außerdem stehen den Extremisten immer wieder ihre eigenen Glaubensgrundsätze im Weg. Im Grunde ist der Comic sogar auf verstörende Weise versöhnlich. Am Ende erkennt der Held der Geschichte, dass er, trotz aller Ausbildung, ein schlechter Gotteskrieger ist, denn er schafft es nicht, einen Menschen zu töten, der ihm einmal etwas bedeutet hat, obwohl dieser gerade zum Zombie wird.

die_toten_4_koeln_2Herr M.s Grafik ist kraftvoll, reduziert, schwarz/weiß auf packpapierfarbenen Grund mit Rot als Schmuckfarbe. Seine Zeichnungen erinnern stark an Mike Mignola und andere amerikanische Comiczeichner wie David Mazzuccelli oder auch Frank Miller. Klassisches Paneling durchbricht Herr M. gern und oft. Zwischen Vignette, eigentlichem Bildinhalt und Panel wird selten ein Unterschied gemacht. Durch diese schönen Gesamtkompositionen hinterlässt er einen ausgesprochen überzeugenden Eindruck beim Leser.

Stefan Dinter (Herausgeber)

Stefan Dinter

Es fällt zwar schwer sich das einzugestehen, aber schlechte Zeiten für die geistige Freiheit sind gute Zeiten für Endzeitcomics. Wenn es ein kleiner deutscher Verlag wie der Zwerchfell-Verlag es schafft, Comics in dieser Qualität zu schaffen, sieht es zwar um die Comicszene in Deutschland hervorragend aus, aber die Politik sollte man dringend im Auge (und die Notfallration und das Survival-Kit in Reichweite) behalten.

Hanspeter Ludwig

Stefan Dinter, Christopher Tauber, Henning Mühlinghaus, Laska, Ingo Römling, Matthias Dinter, Herr M.: Die Toten, Band 4. Herstellung Stefan Dinter. Zwerchfell-Verlag, Stuttgart 2013. 68 Seiten. 15,00 Euro. Und hier gehts zur Homepage des Zwerchfell Verlags

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