Ein Kommentar zur Wahl in Italien von Carl Wilhelm Macke
Wenigstens eines war schon kurze Zeit nach Schließung der Wahllokale in Italien sicher: linke deutsche Politiker und Intellektuelle können weiterhin beruhigt in die Toskana reisen. Diese mittelitalienische Genuss-Region ist seit Jahrzehnten fest in Hand der ‚Roten’ – was immer das heute nach dem Zusammenbruch der diversen linken Weltbilder und Projekte auch heißen mag. Auch nach Bologna, der Heimatstadt von Romano Prodi, kann man beruhigt fahren. Die Anti-Berlusconi-Stimmung ist dort stark und auch überall spürbar. Aber sonst…? „Wenn der wieder die Wahlen gewinnen sollte, dann rudern wir von Palermo nach Sydney“. Während des spektakulären und schrillen Wahlkampfes in den letzten Monaten, hörte man immer wieder diese ironisch-bitteren Kommentare unter den Gegners Berlusconis. Nach dem hauchdünnen Wahlsieg der linksliberalen Opposition gegen das rechte Bündnis um Silvio Berlusconi, könnten diese Boote jetzt in den Häfen bleiben, um für den Sommerurlaub an der adriatischen oder ligurischen Küste präpariert zu werden.
Silvio Berluscioni, den die Redaktion von Springers „Welt“ in ihrem Kommentar vor den Wahlen noch als einen bloßen ‚Komiker’ der italienischen Politik verharmlost hat, wird wohl – vorläufig jedenfalls – nicht mehr als Ministerpräsident Italiens seine bitteren Späße mit der Demokratie machen können. Ob er jedoch ganz aus der Politik verschwindet, wie seine Gegner mit Herz und Verstand hoffen, werden die nächsten Wochen zeigen.
Ein Typ wie Berlusconi, darauf hat wenige Tage vor der Wahl noch ein bekannter Kommentator hingewiesen, kann und wird eine Niederlage nie akzeptieren. Seine ganze Biographie ist einzig und allein auf Erfolg ausgerichtet, ob legal ob illegal, letztlich ist es für ihn immer ‚scheißegal’ gewesen, wie er an die Macht kommt. In seinem Weltbild gab und gibt es nur „Siege“ und „Erfolge’. Wenn es ihm die neuen Mehrheitsverhältnisse in den beiden Kammern nicht mehr erlauben, Ministerpräsident und reichster Unternehmer in Personalunion zu bleiben, wird er nur den anderen die Schuld geben. Den Kommunisten natürlich in erster Linie, wer immer das heute auch in Italien sein mag. Den Journalisten, obwohl Berlusconi gelegentlich höchst persönlich dafür gesorgt hat, dass selbst die öffentliche Fernsehanstalt RAI von unabhängigen Journalisten frei gehalten wurde. Den „unzuverlässigen Partner“ in seiner eigenen rechten Regierungskoalition, die vor einer harten Konfrontation mit der linken Opposition zurückgeschreckt sind. Einer wie Berlusconi wird nie zugeben, auch nie zugeben können, dass er mit seinen Lebenszielen, seinen unternehmerischen Strategien, seinen politischen Ideen – nicht selten waren es reine Wahnideen – vielleicht einmal gescheitert ist. Und ist nicht die von ihm und den Werbedesignern seiner Unternehmensgruppen entworfene Kunstpartei „Forza Italia“ die stärkste Formation in einem vollkommen unübersichtlichen Parteiengestrüpp Italiens geblieben? Na also, und es gibt ja auch noch genügend Anlässe, sich wieder in den Vordergrund der Politik zu schieben. Zum Beispiel ist für Ende Juni eine Volksabstimmung vorgesehen, mit der eine radikale Einschränkung des bislang geltenden Grundgesetzes zugunsten einer deutlichen Machterweiterung des Staatspräsidenten vorgesehen ist. Und Berlusconi hat den Quirinalspalast im Herzen Roms (Sitz des Staatspräsidenten) immer als sein großes politisches Lebensziel angesehen. In seinem persönlichen Vokabular hat es das Wort ‚Bescheidenheit’ nie gegeben. Ihm ging und geht es immer ums Ganze. Darunter macht er es nicht. Mittelmaß ist ihm ein Gräuel, dabei ist er mit seinem Weltbild und seinem so extravagant zur Schau getragenen Lebensstil zumindest in den Augen des alten italienischen Großbürgertums (wie der Familie Agnelli oder dem Ferrari-Boss Luca de Montezemolo) immer ein lärmender Aufsteiger geblieben.
Auch wenn bei den neuen hauchdünnen Mehrheitsverhältnissen zugunsten von Mitte-Links eine Unterstützung für Berlusconi bei den anstehenden Präsidentenwahlen eher unwahrscheinlich ist, wird er niemals kampflos auf eine Bewerbung für dieses Prestigeamt verzichten. Einer der ihm besonders treu verbundenen Journalisten hat auch bereits kurze Zeit nach der Bekanntgabe erster Zahlen hinausposaunt, dass Berlusconi seine ‚Battaglia’, seinen Kampf fortsetzen wird. Also, von einem Ende ohne wenn und aber der Ära Berlusconi kann für Italien überhaupt noch nicht die Rede sein. Dafür ist er als Besitzer großer privater Fernsehstationen und anderer Medien einfach zu einflussreich auf große Massen der von ihm und seinen diversen Paladinen entpolitisierten Italiener. Wenn sich der durchschnittliche tägliche Medienkonsum der Italiener innerhalb von knapp zehn Jahren verdoppelt hat, kann man erahnen, über welche Macht der Medienmilliardär Berlusconi auch ohne eine eindeutige politische Mehrheit verfügt.
Aber auch das links-liberale Bündnis um Romano Prodi ist genauso fragil wie der extrem knappe Wahlerfolg. Wie sollen sich etwa die moderat-katholische Partei „La Margherita“ und der aggressiv anti-klerikale Flügel mit dem Namen „Rosa nel pugno“ bei anstehenden Fragen wie der „Homo-Ehe“ oder in den immer wichtiger werden Feldern einer „Ethik-Politik“ einigen? Wie können die den Gewerkschaften eng verbundenen Teile des Wahlbündnisses und erzkapitalistische Berlusconi-Gegner ein dringend notwendiges soziales Reformprogramm für Italien beschließen? Wie will der gutmütige Prodi, der es weder mit seinem persönlichen Freund Helmut Kohl noch mit dem Alt-Kommunisten Fausto Bertinotti verderben will, eine schmerzhafte Sanierungspolitik des katastrophal verschuldeten Haushalts durchsetzen? Die Freude unter den Anhängern von Romano Prodi unmittelbar nach der Bekanntgabe erster Wahlergebnisse ist nach den Zumutungen der Berlusconi-Zeit mehr als verständlich. Dass diese euphorische Stimmung nur wenige Stunden anhielt und dann, von neueren Wahlergebnissen geschockt, in tiefe Depression umschlug, zeigt wie extrem zerbrechlich die politischen Mehrheiten in Italien sind. Der Konjunktiv wird auch nach diesen Wahlen die Grammatik der italienischen Politik beherrschen. Auf eine längere Amtszeit von Romano Prodi würden skeptische Beobachter der italienischen Politik heute keine Wette riskieren.
Jenseits von dem üblichen Gezocke um die politische Macht, das bei den neuen hauchdünnen Mehrheitsverhältnissen wieder beginnt, sind jetzt aber grundsätzlichere Klärungen notwendig. Vielleicht, hoffentlich erlebt es dann auch der gegen den Ego-Liberalismus des Silvio Berlusconi jahrelang opponierende Schriftsteller Claudio Magris endlich, dass die wertvollen Ideale der Demokratie wieder mehr geachtet werden als rücksichtslose Profit- und Machtgier. „ Der Mensch lebt in der Gemeinschaft“. Diese scheinbar sehr banale Erkenntnis von Magris, hat aber ein Silvio Berlusconi nie akzeptiert. Dass er diesen Egoismus zu seiner privaten Lebensphilosophie erklärt hat, wäre noch hinzunehmen gewesen. Er hat ihn aber in das Zentrum seiner Leitkultur für Italien stellen wollen. Zum wiederholten Male hat ihm die Hälfte der Italiener signalisiert, dass für sie andere Werte wichtiger sind. Kein großer, aber ein kleiner Grund zur Freude. Man kann seit diesem 10. April wieder etwas beruhigter in die Toskana fahren und im „Ristorante Gigi“ um der Ecke zur bescheidenen Feier des Tages ruhig einmal mit einem besseren Vino Rosso anstoßen – auf Prodi und auf die am Tag nach der Wahl erfolgte Verhaftung von Bernardo Provenzano, des seit Jahrzehnten gesuchtesten Mafia-Bosses in Italien!
Carl Wilhelm Macke