Claudio und Jackson
Claudio Magris – der Name steht seit Jahrzehnten schon für Triest, für das Mittelmeer, die Donau, für Italien – natürlich das andere, zivile, nicht durch Korruption und Skandale versaute Berlusconi-Italien. Carl Wilhelm Macke über den Preisträger – und einen ganz besonderen Begleiter…
Wenn man Claudio Magris‘ durch die Literaturwissenschaft, die Germanistik, die Zeitgeschichte und den Tagesjournalismus mäanderndes Werk etwas kennt, dann fallen einem bei seinem Namen auch Schriftsteller wie Giacomo Leopardi, Franz Kafka, Joseph Roth, Isaak B. Singer, Robert Walser, Jorge Luis Borges, Elias Canetti oder Primo Levi ein. Über alle Genannten hat er geschrieben, mit einigen war er auch eng befreundet. Unüberschaubar der Kreis noch lebender Intellektueller, mit dem der unglaublich treue ‚Freunde-Sammler’ Magris nicht in einem mehr oder weniger engen Kontakt steht: Cees Nooteboom, Peter von Matt, Michael Krüger (sein deutscher Verleger), Umberto Eco (mit dem zusammen er „ Libertà e Giustizia“, die Vereinigung linksliberaler Gegner des Berlusconi-Regimes gegründet hat), Lars Gustaffson , auch an Günter Grass und Bora Cosic’ ist zu denken.
Aber, merkwürdig, der Name „Jackson“ taucht in den vielen Porträts von Claudio Magris niemals auf. Ein vielleicht unbekannter Lyriker von den Antillen, dem Magris irgendwann einmal einen heute verschollenen Essay gewidmet hat? Ein Blues-Sänger aus dem Mississippi-Delta, den er vielleicht einmal bei einer seiner Reisen durch die Vereinigten Staaten gehört hat und dem er mit ein paar Zeilen im Feuilleton seines Hausblatts, dem Mailänder Corriere della Sera ein kleines Denkmal geschaffen hat?
Nein, ‚Jackson’ ist der Name seines kleinen zotteligen Hundes, mit dem Magris immer auffallend schnellen Schrittes durch die Gassen in der Altstadt hinter dem kleinen Triestiner Hafen eilt. Oder man sieht die beiden durch den Stadtgarten in einem anderen Viertel von Triest flanieren, auf dem Weg ins Cafè San Marco, wo Magris schreibt, speist und die vielen Journalisten empfängt, die mit ihm ein Gespräch über das ‚alte Europa’, das neue Triest, die Literatur der Habsburger Zeit, die schlechten Manieren der geldgierigen Emporkömmlinge in Italien – oder ganz einfach über „Gott und die Welt“ führen wollen. Es ist nicht zufällig, dass sich Magris diesen kleinen, unscheinbaren, aber quirlig lebendigen, vollkommen unaggressiven Hund zu seinem treuen Begleiter ausgesucht hat.
Vorliebe für die übersehenen, die stillen, aber trotzdem so lebendigen Figuren
Auch in seinen literarischen Werken stößt man immer wieder auf das unbemerkt am Rande der Geschichte liegende Detail, dem er eine ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Und irgendwie scheint der an der Grenze zwischen West und Ost, zwischen dem italienischen Katholizismus, der Strenge der deutsch(sprachigen) Kultur und dem oft surrealen, anarchischen Balkan aufgewachsenen und davon spürbar geprägte Magris eine schon instinktive Vorliebe für die übersehenen, die vergessenen, die stillen, aber trotzdem so lebendigen Figuren zu haben. An dem „Habsburger Mythos“, über den der junge Claudio Magris eine epochemachende Studie geschrieben hat, interessierte ihn nicht der große Kaiser Franz, sondern vielmehr der Zöllner an den Grenzen des Reiches oder das Freudenmädchen Mizzi in irgendeinem dunklen Winkel unweit der Wiener Stefanskirche. In deren Leben spiegelte sich für Magris viel mehr von den Widersprüchen, von den Verlogenheiten, aber auch den kleinen Hoffnungen wider, als in den üppigen Salonauftritten von Hofdamen, Ministerialräten und Kaiserlichen Zeremonienmeistern. Und in dem viele Jahrzehnte später geschriebenen Roman Blindlings, dem neben der Donau bisher vielleicht wichtigsten Werk von Magris, stehen im Mittelpunkt nicht die „Sieger“, die „Immer–alles-Besser-Wissenden“, die kühlen Strategen der (kommunistischen) Weltverbesserung, sondern die von den Idealen einer gerechteren Welt Überzeugten, für sie Kämpfenden, dann aber auch schrecklich Verratenen, desillusionierten Zeit“genossen“.
Ein Blick auf die Schlachtfelder, die Gemetzel, die Genozide, die Lager des vergangenen, vielleicht auch schon auf die des soeben begonnenen Jahrhunderts reicht, um in tiefe Verzweiflung zu verfallen. „Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate.”, lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet, wie es bei Dante heißt. Aber Magris will das Schwarze der Geschichte mit seinen literarischen Arbeiten und öffentlichen politischen Interventionen nicht noch schwärzer malen, als es ohnehin schon ist. Und so schreibt er auch an einer Stelle seines Essays Utopie und Entzauberung eine leidenschaftliche Verteidigung des „Trotzdem“:
Utopie bedeutet, jene unbekannten Opfer nicht zu vergessen, die Millionen, die in allen Jahrhunderten an unsäglichen Greueln zugrunde gingen und dem Vergessen anheimgefallen sind, nicht verzeichnet wurden in den Annalen der Weltgeschichte. Der Strom, der Geschichte schwemmt die kleinen Geschichten der Individuen fort und läßt sie untergehen…Schreiben bedeutet unter anderem auch, am Ufer entlanggehen, stromaufwärts fahren, schiffbrüchige Existenzen auffischen und Strandgut wiederauffinden, das sich an den Ufern verfangen hat, um es zeitweise auf einer Arche Noah aus Papier unterzubringen.
Wer so etwas schreibt, ist unvorstellbar an der Seite eines deutschen Schäferhundes oder eines edlen englischen Jagdhundes die unentwegt mit Befehlen geführt und dressiert werden. „Jackson“ aber, der kleine, zottelige, ebenso friedliche und verspielte Hund, passt zu einem Schriftsteller, dem das Unscheinbare, das an den Strand Gespülte, auch die gelegentliche verspielte Ironie so viel bedeutet wie Magris. Man sollte, ein Rat an die Organisatoren des Friedenspreises, „Jackson“ auch gleich mit nach Frankfurt einladen….
Carl Wilhelm Macke
Copyright des Fotos: Carl Hanser Verlag