Am 2.2.12 findet in Hamburg das Literaturfestival „Ham.Lit“ statt , die dritte „Lange Nacht junger deutschsprachiger Literatur und Musik“– präsentiert u. a. von CULTurMAG. 15 Autorinnen und Autoren lesen parallel auf drei Bühnen, dazu gibt es zwei Konzerte. Wir stellen Ihnen in den kommenden Wochen einige der Mitwirkenden vor. Heute: J.S. Gosze im Gespräch mit Leif Randt (Das gesamte Lineup finden Sie hier).
„Ich drücke gern zurück – Aber oft nur mit einem Arm“
– Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt am Main, studierte in Gießen, London und Hildesheim. Für seinen zweiten Roman „Schimmernder Dunst über Coby County“ ist einer der aufregensten Romane des Jahres 2011 und wurde mit dem Ernst-Willner-Preis in Klagenfurt ausgezeichnet. J.S. Gosze studiert (ebenfalls) Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und möchte Einiges ganz genau wissen.
JSG: In Coby County passiert erst mal nicht viel. Menschen aus der Kulturindustrie leben vor sich hin. Es gibt gutes Obst und Meer. Von allem aber so viel, dass es ins Absurde kippt. Hast Du irgendwann entschieden, ob es ein witziges, melancholisches, dokumentarisches Buch wird?
LR: Nein, das habe ich nicht entschieden. Manche halten es für witzig, andere macht es sauer. Ich stehe dem Ganzen recht neutral gegenüber.
Wim Endersson lebt in Coby County. Er ist Literaturagent für Jungautoren, die Bücher über die Jugend schreiben; belanglos, aber absetzbar. Alles ist normal. Er hat eine Freundin und Eltern. Er hat ein Handy.
Ich glaube, die Texte, die in CC geschrieben werden, sind wertvoll auf eine populäre Art. Neben den Tagebuchstimmen leben dort auch virtuose Genreautoren. Die Autoren kompensieren die Suspense-Armut im Leben der Stadt durch ihre Traumwelten. Einen dieser Texte wollte ich ursprünglich in das Buch einfließen lassen. Aber ich hatte genug vom Text im Text und blieb bei Wim.
Der Ton des Buches ist unaufgeregt und fast durchgehend gleichgültig. Ist das Wims Ton oder ist das Coby County (pneumatisch)?
Nein, das ist falsch. Wim ist nicht gleichgültig. Er zittert. Man muss nur genau lesen.
Manchmal wirkt Wim so distanziert, wenn er, nachdem seine Freundin ihn für einen anderen verlassen hat, ihr „Alles Gute.“ wünscht, wie ein Asperger-Autist. Wie schreibt man ein Buch, bei dem das meiste egal ist? Wie hast Du gesiebt?
Wim behält seine Würde. Es ist wichtig, seine Würde zu wahren. Wenn jemand entscheidet, einen anderen zu verlassen, hilft kein Kampf. Es gilt nur darum, die Würde zu bewahren. Das machen viele in ihrem Leben wiederholt falsch.
Auf einer Skala von 1 bis Angst, wie viel Angst hattest Du, als Generationen-Ding besprochen zu werden?
Ich hatte keine große Angst. Ich sah das auf mich zurollen. Ohne es dringend zu wollen. Zuletzt werde ich auf Podiendiskussionen zum Thema Generation eingeladen. Ich sage meistens ab.
Hattest Du den Eindruck, dass, wenn nicht etwas passiert, etwas Dringendes wie das Seilbahnunglück oder etwas in Aussicht steht, wie der Frühling, dass das Buch, wenn auch konsequent, nicht durchkommen würde? Im Klappentext heißt es sogar: „Denn am Horizont kündigt sich bereits ein neues Unglück an …“ Sind diese drei Punkte nicht infam?
Klappentexte setzen auf Inhaltsangaben und wollen eine Spannung aufmachen. Angeblich spricht die meisten Menschen so etwas an. Auch wenn es total gelogen ist. Auf der Rückseite der DVD meines Lieblingsfilms 2011 steht „ein packender Thriller“. Das ist der Film „Wer ist Hanna?“ und wenn man den als Thriller anschaut, ist der Film schlecht. Aber der Film ist grandios. Trotzdem glauben die DVD-Hersteller, dass er sich als Thriller besser verkauft. Es wird auf der Packung auch die ganze Handlung zusammengefasst. Dabei ist die Handlung in dem Film total egal.
Die Frage, was man überhaupt noch schreiben kann, wovon man noch sprechen kann, stellt sich regelmäßig und vor allem durch a) den fiktiven Film „Schimmernder Dunst über Coby County“, nach dem das Buch benannt ist und b) durch Wims Arbeit. War dieser reflexive Gestus über Schreiben und den Literaturbetrieb als Erstes da?
Nein. Das ist nur mit hineingerutscht. Und hat Spaß gemacht.
War das ein nötiger Impuls, die Frage wovon man nicht sprechen/schreiben darf? Und worüber man schweigen muss?
Man muss zu gar nichts schweigen. Man sollte echt über alles schreiben. Warum denn nicht?
Na ja, über denselben Jungautoren sagt Wim: „ Ich kann seine, zwischenmenschlich dramatischen Erzählungen […] oft kaum ertragen. Sie sind voller Konflikte, wie man sie aus seiner Alltagswelt kennt.“ Macht dich das im Realen wütend?
Nein. Gar nicht. Ich will möglichst nichts lesen, was sich jemand mühsam ausgedacht hat.
Ich hab so ein ähnliches Problem mit Geschichtchen mit einer Mutter und einem Vater und das spielt auf dem Land, oder im Wald und es wird gejagt oder geeggt. Oft schämen sie sich nicht und benutzen die zweite Person Plural. Das klingt dann so: „Wir gehen ein paar Schritte. Du sagst: Reisig ist kein Fahrtmesser. Ich sage: Die Partisanen liegen im Schilf, wie Pan. Wir heben ein paar Zweige auf, bei den Scheunen. Mutter sagt, es gibt hier keine Wölfe. Wir sprechen leise.“ &c. Mich macht das so wütend.
Mir gefällt so etwas auch nicht so gut. Entweder ärgert man sich darüber, dass die Leute so sind, so innerlich und zart und sensibel. Oder darüber, dass sie gerne so sein wollen. Das ist das Schlimmste.
Ist es nicht ein arg billiger Trick, ähnlich dem den DFW in „The Broom in the System“ verwendet, wenn er unbenutzt Kurzgeschichten von sich selbst im Buch auftauchen lässt, Wim als dein Blick auf den Literaturbetrieb zu missbrauchen?
Ich hätte gerne unbenutzte Shortstories in „Schimmernder Dunst“ verarbeitet. Aber ich hatte keine. Wims Blick auf den Literaturbetrieb ist ein bisschen anders als meiner. Aber natürlich nur ein bisschen. Aus Deinen Fragen geht hervor, dass Du ein Problem mit Dingen hast, die keinen großen Umweg gehen. Warum denn das? Bist Du ein Streber?
Absolut, fast faschistisch vielleicht sogar. War Dir klar, wie witzig dieses Buch ist? Und kann es deswegen nur als Persiflage gelesen werden?
Ich fand es selbst auch lustig. Aber die Begriffe „Satire“ oder „Persiflage“ hatte ich nicht im Kopf.
Du schilderst Lethargie präzise durch ihre Rituale, wie sich in die Hände zu klatschen jenseits der Schultern. Wie gibst du Leuten die Hand?
Verschieden. Tatsächlich mag ich High-Fives. Aber je älter man wird, desto häufiger wird man herzlich gedrückt. Ich drücke gern zurück. Aber oft nur mit einem Arm.
Was war Dein gelungenstes Adjektivpaar: „demonstrativ und leicht verspannt“, „leicht unterkühlt und sehr elegant“ oder „fantastisch und stabil“?
Habe nicht mehr alle im Kopf. Von den dreien gefällt mir „demonstrativ und leicht verspannt“ am besten.
Das Buch – und wie es gewisse Konzepte exponieren will – ist manchmal drüber und überdeutlich; z. B. die Abschieds-SMS von Wim. Muss das denn sein?
Das fragte ich mich beim Überarbeiten auch. Ich denke, es hätte nicht sein müssen. Aber wie gesagt. Platte Sachen finde ich manchmal ganz schön.
Ist das Konzept, so etwas zu beobachten, nicht zu einfach und der klassische Metareflex, wenn man nicht weiß, was man erzählen soll?
Ich habe keine Probleme mit klassischen Reflexen. Mir sind Leute, die sich hinsetzen, um nun mal wirklich etwas zu erzählen, viel unangenehmer.
Wie viel „O.C. California“ hast Du dir reingezogen?
Sehr wenig. Ich schaue bislang auch keine HBO-Serien. Mir sind Serien zu episch. Ich mag auch keine dicken Bücher. Als Kind habe ich viele Sitcoms angeschaut. Heute vergesse ich meistens, sie mir anzuschauen. Dabei mag ich einige sehr gern. Es ist beinahe tragisch, dass ich sie so selten schaue.
Bist du ein Fan von Thomas Bernard?
Nicht so sehr.
Welche Fragen und Phrasen haben hier gefehlt?
Keine.
Vielen Dank für das Gespräch.
J.S. Gosze
Leif Randt: Schimmernder Dunst über Coby County. Roman. Berlin: Berlin Verlag 2011. 191 Seiten. 18,90 Euro. Zu Homepage und Verlag. Zur Rezension von „Schimmernder Dunst über Coby County“ bei CM.