Ehrenrettung
Aus aktuellem Anlaß eine kleine Ehrenrettung für die politische Kultur Italiens. Von Carl Wilhelm Macke
Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, ein immer und überall bekennender Antifaschist, glaubte unbedingt auf einem Faschingsumzug in seiner Stadt am 27. Januar mitschunkeln zu müssen. Zwar gab es einen laut vernehmlichen Protest diverser Mitglieder der jüdischen Gemeinde nicht nur in München gegen dieses bunte Treiben ausgerechnet an dem Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Ude ließ verlauten, daß er sich dieses Datum natürlich bewußt sei, aber der Umzug sei schon seit langem geplant gewesen. Und niemand in der von ihm geführten Stadtverwaltung habe dieses unglückliche Zusammenfallen von historischem Gedenken und buntem Narrentreiben rechtzeitig zur Kenntnis genommen. Überhaupt, so der um seine Volkstümlichkeit immer besorgte sozialdemokratische Oberbürgermeister, sei der 27. Januar ohnehin nie so richtig im Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger angekommen. Eine kleine Routenkorrektur konnte dann doch noch durchgesetzt werden. Das Werfen von Krapfen oder anderen ortsüblichen Süßigkeiten auf das Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wäre dann doch wohl etwas zu peinlich gewesen. Schließlich hat München ja auch einen internationalen Ruf als weltoffene und geschichtsbewußte Stadt zu verteidigen. Also, Narrenkappe auf, Lautsprecher an, ‚heute haun wir auf die Pauke’ und durch.
In München hatten Bewegungen auf den Straßen und in den Bierhallen immer schon ihre Heimat. Warum soll man an die Opfer der Nazis nicht schunkelnd gedenken?! Und anschließend Freibier im Hofbräuhaus…
Genau in diesen Tagen registrieren Ude seine mediterranen linken Mitfreunde ‚mit Fassungslosigkeit’ die Wiedergeburt des rechtspopulären Medienunternehmers Silvio Berlusconi in Italien. Mit großer Rhetorik wird den Gefahren einer konservativen italienischen Regierung gewarnt, die von mafiösen Kreisen ebenso gestützt wird wie von der alt- und neufaschistischen Rechte. Eine Befürchtung die gut begründet ist. Die Jahre unter Silvio Berlusconi haben in der politischen Kultur Italiens langanhaltende Wunden an Zivilität und Gemeinsam hinterlassen. Die jetzt gescheiterte Regierung Prodi konnte diese Wunden nicht heilen. Ihre innere Zerstrittenheit hat diesen Verfall vielleicht sogar noch beschleunigt. Und dennoch gibt es eine gefestigte politische Erinnerungskultur in Italien, in der es ein Bürgermeister wie Ude es sehr schwer hätte, einen Karnevalsumzug am ‚Giorno della Memoria’, am Tag des Gedenkens, öffentlich zu verteidigen. Seit dem Jahr 2000 existiert ein Gesetz ( „Legge Colombo-De Luca“ ) daß diesen Tag den Charakter eines nationalen Gedenkens an die Deportationen italienscher Juden in die deutschen Konzentrationslager und an die Millionen von Opfern der Shoah gibt. Einstimmig wurde dieses Gesetz verabschiedet, also auch mit den Stimmen des rechten Blocks um Silvio Berlusconi. Besonders in den Schulen, aber auch an anderen Orten soll angemessen an den „Zivilisationsbruch Faschismus’ gedacht werden. Ein ‚Corteo di Carnevale’, ein Karnevalsumzug an diesem Tag des historischen Gedenkens , wäre in Italien, zumindest in den größeren und mittleren Städten des italienischen Nordens undenkbar. Eine ähnliche öffentliche Mahnung (aber kein Gesetz !) existiert auch in Deutschland, aber das Echo innerhalb der Gesellschaft war nie besonders groß. Diese mangelnde Resonanz jedoch als Legitimation für die bedenkenlose Teilnahme an einem Faschingsumzug ausgerechnet am 27. Januar zu zitieren, ist schon ein starkes Stück unverfrorener Geschichtsverdrängung. Schützt denn ein sozialdemokratisches Parteibuch vor gar nichts mehr…?
Carl Wilhelm Macke