Geschrieben am 6. Dezember 2017 von für Klassiker Special 2017, Litmag, News, Specials

Howard Hawks: Hatari!

HATARI
Max Annas

Hatari! von Howard Hawks

Klar habe ich darüber nachgedacht, wie oft ich diesen Film schon gesehen habe. Irgendwann einmal jährlich im Nachmittagsprogramm im Fernsehen. Zum ersten Mal mit 6? Mit 8? Howard Hawks Hatari! war ein Kulturprodukt, dem man als Fernsehkind nicht entkommen konnte – wie die Les Humphries Singers oder Percy Stuart. Irgendwann und irgendwo einmal die erste Originalversion. Mit 20? War das in der Kölner Cinemathek? Hernach seltener. Und dann habe ich mal eine DVD erworben, weil ich einen kleinen Vortrag gehalten habe über das Bild Afrikas im Kino der USA und Europas. Die DVD ist bei Umzügen verloren gegangen, und dann hab ich eine neue besorgt, als sie irgendwo billig zu haben war, hab sie ins Regal oder sonst wohin gestellt und den Film lange nicht mehr gesehen. Bis jetzt. Und dann habe ich nach der Szene gesucht, die ich in dem Vortrag verarbeitet habe. Und, Teufel auch, ich habe sie nicht gefunden. Das war nun nicht die Schlüsselszene des Films… Obwohl!

Aber von Anfang an. Also… Vom Beginn des Films an. Nach dem Paramount-Logo ist eine kleine Kolonne von Autos zu sehen, trockenes Grasland drum herum, Männer auf den Autos und daneben. Der erste Schnitt bringt uns zu John Wayne, der auf dem vorderen Wagen steht und mit einem Fernglas die Gegend auscheckt. Schnitt. Red Buttons in der Fahrertür stehend. Schnitt. Ein Jeep, der nicht zur Kolonne gehört abseits. Schnitt. Hardy Krüger ebenfalls mit einem Fernglas vor dem Gesicht. Er nimmt es herunter, wir sehen sein Gesicht. Schnitt. Der neben ihm wird später als The Indian vorgestellt. Schnitt. Wayne aus einer anderen Perspektive. Er sucht etwas. Blickt mit dem Fernglas hierhin und dorthin. Im Hintergrund ist, anders als im letzten Bild mit Wayne, eine Herde Gnus zu sehen. Die Kamera schwenkt in ein Panorama und öffnet uns das weite Land mit der Herde in der Distanz und einer Bergkette dahinter. Ein kurze Unterhaltung zwischen den beiden Männern mit den Ferngläsern über ein Tier, das nicht genannt wird, und als die Uhr auf genau einer Minute anschlägt, geht der erste Motor an, unter dem Motorgeräusch gibt es die ersten Takte von Henry Mancinis Musik, und die Action beginnt. Brillant.

Was haben wir eigentlich gesehen bis dahin? Western-Bilder, die ganz sicher nicht zu einem Western gehören – die Autos. Eine Viehherde, die ebenso sicher nicht in Nordamerika unterwegs ist – das Gnu. Eine Gruppe Männer, die darauf wartet, dass die Action beginnt – oder besser: die Arbeit, und unter denen die Weißen Gesichter und Mienen haben und die Schwarzen nicht. Die Tiere sind im Fokus der weißen Männer. Die Jagd beginnt.

Wir befinden uns in der Nähe von Arusha im Tanganyika Territory kurz vor der Unabhängigkeit. (Als Hatari! 1962 uraufgeführt wurde, war Tanzania schon unabhängig.) Eine Gruppe von Männern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und unterschiedlichen Charakteren besorgt Tiere für Zoos in Europa und Nordamerika. Im der Lounge der Farm, auf der sie leben, hängt eine Tafel, auf der die Aufträge vermerkt sind. Giraffen, verschiedene Antilopen, Zebras, Büffel, Elefanten, ein Nashorn und Affen. Diese Liste arbeiten sie professionell ab.

Hawks Film ist in Actionmaßstäben atemberaubend. Die Kamera ist mitten unten den Tieren und denen, die sie jagen. Die Wagen heizen über die Prärie, hinter und parallel zu den Tieren. Das Einkesseln und -fangen wird nicht simuliert, und obwohl ich vermute, dass Wayne nicht ständig selbst im Sitz über der Motorhaube mit dem Lasso in der Hand gesessen hat, müssen doch die professionellen Jäger und die professionellen Schauspieler gemeinsam unterwegs gewesen sein. Hawks hat immer behauptet, die Schauspieler wären es gewesen, die die Tiere gefangen hätten. Einige Zwischenschnitte lassen da aber leise Zweifel aufkommen. Da waren noch andere Leute unterwegs. Wenn es aber galt, Zebra, Büffel oder Rhino die Beine zu fesseln und in eine Holzkiste zu manövrieren, waren die Stars des Films alle dabei. In jedem Fall ist die Kameraarbeit spektakulär und der eigentliche Star des Films.

Die Western-Allegorien sind dabei offensichtlich. In der Männergruppe, in der Wayne den Diktator mit gutem Herzen gibt, und der Rest über ihre technischen Fähigkeiten – Autofahren bis Schießen – und anskizzierte Persönlichkeit grundiert wird, fällt lediglich Red Buttons auf, der sich wie ein Clown bewegt und eine Art Walter Brennan mit romantischem Potential darstellt. Diese Gruppe hätte auch in einem Hawks-Western ihren Platz gehabt. Eine Klavier-Nummer Elsa Martinellis, „Old Folks at Home“, mit Buttons an der Mundharmonika, hätte so auch in einem Saloon stattfinden können. Die Tiere schließlich und das weite Land geben dem Western-Abbild noch einen abschließenden Farbstrich. Und doch ist Hatari! eben nur an der Oberfläche Western. Im Herzen kann er es nicht sein. Das Genre ist geprägt durch ein Wir und Die, das wir hier vergeblich suchen. Wir, die guten Siedler, gegen die schlechten Siedler, das sind die, die das Land stehlen oder mit kriminellen Methoden verteidigen. Wir, die guten Siedler, gegen die, die schon lange vorher da waren. Alle Variationen, auch unter Einbeziehung von Naturgewalten und Krieg, sind nicht mehr als die Bestätigung der Tatsache, dass der Western die gewaltsame Besiedelung eines Kontinents in Bilder fasste. In Hatari! fehlen also Konflikt und Gefahr. Die Gegend um Arusha im Tanganyika Territory war nicht der Mittelpunkt der antikolonialen Bewegungen – wenn, dann wäre der Film dort nicht gedreht worden. Und die Tiere waren nur insofern feindlich eingestellt, als sie sich gegen ihre Gefangennahme so gut wehrten, als sie es eben vermochten. Die größte Gefahr, wenn ich den Filmbildern glauben kann, ging von den Löchern im Boden aus, durch die die Autos auf der Jagd bretterten. Im Vergleich zum Überfall der Ogallala freilich oder der Meuterei am Schlangenfluss eine doch vernachlässigenswerte Bedrohung, nicht wahr?


Diese eine Szene hat mich gestern dann nicht mehr losgelassen. In diesem oben erwähnten Vortrag habe ich dem Publikum die Frage gestellt, wie viele Sätze afrikanische Menschen in diesem zweieinhalbstündigen auf afrikanischem Boden gedrehten Film aus eigenem Impuls heraus sagen? Also… Aussagen wie „Hier der Whisky“ und „Ja, alles sauber gemacht“ zählen dabei nicht. Die Antwort habe ich im Vortrag gleich mitgeliefert. Einen einzigen. Und der drehte sich um den gleich in der Eingangssequenz von einem Nashorn verletzten The Indian. Arga (Umbopa M´beti), der Chefbedienstete, steht in der Lounge und fragt den ins Haus eilenden Krüger, wie es dem Mann wohl gehe. Ich glaube, meiner DVD fehlen insgesamt sechs Minuten. 151 werden dort vermerkt, als Originallänge gelten 157. Diese Szene fehlt einfach. Etwas ratlos bin ich.

Aber es braucht diese Szene natürlich nicht, um darzulegen, dass den afrikanischen Figuren nicht nur jede Agenda fehlt, wie man das heute nennen würde. In so gut wie allen Szenen, in denen afrikanische Männer als Gehilfen auftauchen, meint man die Regieanweisung zu hören. „Do not act. Do not even try to.“ Da kann der Busch um sie herum brennen, sie tun komplett unberührt und ahnungslos. Wer sich darauf einlässt, diese Figuren über den Film hinweg zu betrachten, muss sehr traurig werden. Einen Credit kriegt keine von ihnen. Auch nicht Umbopa M´beti.

Zurück zum Anfang des Films. Der erste Dialogsatz, der nicht der Jagd gilt, wird von Red Buttons gesprochen, der am Steuer eines Pick-Ups sitzt. Auf der Ladefläche stehen Wayne und Valentin de Vargas, der einen ehemaligen Stierkämpfer spielt, sowie vier afrikanische Männer. „This one´s got to be a female,“ sagt Pockets, Buttons Figur. „She can´t make up her mind which way to go.“ Er redet über ein Nashorn auf der Flucht. Das Schlimmste an der Szene ist nicht die Misogynie, die den Spruch prägt, sondern die Art und Weise, wie er präsentiert wird. Die Szene ist nämlich tatsächlich lausig inszeniert. Buttons lehnt sich aus dem Fenster des fahrenden Wagens. Gibt seinen Satz zum Besten. Nun röhrt der Motor ganz ordentlich, der Untergrund ist rau, und so ist die Chance, dass irgendwer auf der Ladefläche versteht, was der Fahrer zu sagen hat, eher klein. Als sich Buttons aus dem Fenster lehnt, muss Wayne die Regieanweisung gekriegt haben, den Kopf kurz zu beugen und die Lippen zu verziehen. Wohlgemerkt: Die Herren sind auf der Jagd. Der Aufwand also nur, um den Witz zwischen zwei Schnitten zu platzieren. Das Tier übrigens straft den Sprecher nur kurz darauf Lügen. Es greift den Wagen an, in dem Krüger und The Indian sitzen und verletzt den letzten schwer. Das weibliche Nashorn hatte also einen ausgefuchsten Plan und konnte schließlich unerkannt entkommen.

Was feindliche Siedler, der Stamm hinterm Berg oder ein reißender Fluss nicht an Spannungen in die Männergruppe tragen können, müssen die Frauen erledigen. Elsa Martinelli als Fotografin und Michèle Girardon als Besitzerin der Farm sorgen für ein wenig Trubel im Haus und auch auf der Safari. Immerhin vier der sechs Männer sind so in romantische Scharmützel verwickelt, und es kommt natürlich nicht immer so, wie es zu befürchten steht. Diese leichte Unterhaltung führt zu leichten Verschiebungen in der Balance zwischen den Männern. Und am Ende steht eine Heirat, über die ich immer wieder von Neuem überrascht bin, wenn ich Hatari! sehe.


 

Hatari! Regie: Howard Hawks; Drehbuch: Leigh Brackett; USA 1962; 157min; Kamera: Russell Harlan; Musik: Henry Mancini; DarstellerInnen: John Wayne, Hardy Krüger, Elsa Martinelli, Red Buttons, Michéle Girardon, Gerard Blain


Max Annas
, Autor mehrerer Bücher zu Popkultur, Politik und Sport, Kurator bei verschiedenen Filmfestivals, „Deutscher Krimipreis“ für seinen ersten Kriminalroman „Die Farm“, lebt in Berlin.

 

 

 

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