Zeugnis des Ersten Weltkrieges aus einem belgischen Schützengraben
– Kurz bevor Stefan Hertmans‘ Großvater starb, vermachte er seinem Enkel sein Tagebuch, das in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beginnt und kurz vor seinem Tod endet. Der Enkel brauchte drei Jahre um den richtigen Ton zu finden, um die Tagebücher herauszugeben. Nun setzt er mit “Der Himmel meines Großvaters” seinem Vorfahr ein Denkmal – und den meist bitterarmen flämischen Soldaten, die unter französischsprachigen Offizieren als Kanonenfutter in einen ungleichen Krieg geschickt wurden. Wer überlebte, trug sein Trauma ein Leben lang mit sich.
Gleichzeitig ist das Buch ein großartiger Familienroman über fünf Generationen, der seinen Ausgang im armen katholisch-flämischen Arbeitermilieu von Gent hat, in dem die Kunst Trost und Zuflucht bietet: Hertmans Großvater fand seine Rettung in der Malerei und kopierte bis zu seinem Tod die großen Klassiker. Hertmans hat ein liebevolles und ergreifendes Porträt eines Mannes geschrieben, der für seinen Enkel ein stiller und verträumter Künstler war, im Krieg jedoch ein tatkräftiger Soldat.
Es ist auch ein detailgenaues Zeugnis des Ersten Weltkrieges aus einem belgischen Schützengraben und dem apokalyptischen Grauen des industrialisierten Krieges, das den Belgiern gegenüber der deutschen Übermacht wenig Chancen gab. Britta Behrendt traf Stefan Hertmans in Amsterdam, wo Hertmans bereits sein nächstes – diesmal philosophisches – Projekt vorbereitet.
Britta Behrendt, Interview Lounge.
Stefan Hertmans: Der Himmel meines Großvaters. Übersetzt von Ira Wilhelm. Hanser Berlin 2014. 320 Seiten. 21,90 Euro.