Aufschreiben, was einen anweht – Wer einen Roman „Ein ganzes Leben“ nennt und dann nur 160 Seiten braucht, um dasselbe Leben zu beschreiben, ist ein Meister der Sprache und Verknappung. Er schreibe im Grunde nur die Bilder so genau wie möglich auf, die ihn anwehen, sagt Robert Seethaler. Die Form interessiere ihn nicht. Und was für Bilder! Eine schroffe Bergwelt, wortkarge und hart arbeitende Menschen, Naturkatastrophen, Kriege, Seilbahnen und Sprengdynamit. Der Leser wird viele Szenen aus dem Leben des Andreas Eggers, dem Helden des Romans, nicht vergessen. Britta Behrendt traf
Read More Virologe mit trophy wife – Eine kleine niederländische Heimatkunde: In den Niederlanden ist es Tradition, dass sich die Buchhändler in der Woche des Buches bei ihren Lesern (und Kunden) bedanken. Das geschieht mit einem nur für die Buchwoche geschriebenem Büchlein, das jeder Käufer eines Buches ein geschenkt bekommt. Diese „Buchwochengeschenke“ gibt es nur in dieser Woche und viele werden später Sammlerstücke. So ein Geschenk schreiben zu dürfen, ist so ziemlich die höchste Ehre, die einem niederländischen Schriftsteller passieren kann. Arnon Grünberg und Conny Palmen, waren auch schon mal dran –
Read More Meine Eltern über die Zeit in der DDR zu befragen, war wie eine Gruppentherapie –Eine Lesung in Amsterdam. Auf dem Podium Maxim Leo, der Anlass 25 Jahre Mauerfall und sein Buch “Haltet Euer Herz” bereit. Dem Gastgeber gehen ein wenig die Fragen aus, so vertraut ist er mit den Feinheiten des Ostens und der ehemaligen DDR nun mal nicht. Da erzählt Maxim Leo einfach ein paar DDR-Witze und holt mit einem Schlag ein Gefühl von längst vergangenen Zeiten zurück. Die Familie von Maxim Leo war wie eine kleine DDR. In
Read More Das Reifen zwischen zwei Büchern –Eigentlich wollten wir ja über “Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam” sprechen, Vea Kaisers erstem Roman, der sie in der literarischen Szene über Nacht bekannt machte, auf der “Spiegel”-Bestsellerliste landete und der zu dem Zeitpunkt 22-jährigen Autorin eine ruhmreiche Zukunft versprach. Mittlerweile nähert sich jedoch Roman Nummero Zwo, “Makarionissi”, der Vollendung, wie soll man da über längst Vergangenes sprechen? Und so wurde es ein kurzweiliges Gespräch über Vergangenes und Zukünftiges, über das Reifen zwischen zwei Büchern und die Liebe zum griechischen Schachtelsatz.
Read More Für mich war meine Großmutter keine Staatsdichterin –Wenn Freunde Freunde bespitzeln, ist das Verrat, sagt die Enkelin. Nein, sagt die Großmutter, das ist die Schizophrenie dieses Jahrhunderts. Die Gespräche zwischen Großeltern und Enkelin waren ursprünglich Fingerübungen zur Familiengeschichte der beginnenden Journalistin Jana Simon und fanden in recht unregelmäßigen Abständen zwischen 1998 und 2011 statt. Die umstrittene “Staatsdichterin” Christa Wolf und der früh in Parteiungnade gefallene Großvater Gerhard Wolf sprechen offen und sehr persönlich mit ihrer Enkelin über ihr Leben und ihre politischen Laufbahnen, über Liebe und Verrat und ihre 60
Read More Zeugnis des Ersten Weltkrieges aus einem belgischen Schützengraben – Kurz bevor Stefan Hertmans‘ Großvater starb, vermachte er seinem Enkel sein Tagebuch, das in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beginnt und kurz vor seinem Tod endet. Der Enkel brauchte drei Jahre um den richtigen Ton zu finden, um die Tagebücher herauszugeben. Nun setzt er mit “Der Himmel meines Großvaters” seinem Vorfahr ein Denkmal – und den meist bitterarmen flämischen Soldaten, die unter französischsprachigen Offizieren als Kanonenfutter in einen ungleichen Krieg geschickt wurden. Wer überlebte, trug sein Trauma ein Leben lang
Read More Tabus erledigen sich nicht von selbst – Bald wird niemand mehr einen schlesischen, ostpreußischen oder karpatendeutschen Zungenschlag erkennen können. Das Schlaflied der Grossmutter wird zur fernen Erinnerung, die Flechtfrisur der Karpatendeutschen untergegangenes Kulturgut. Die Generation der im Zuge des Zweiten Weltkrieges vertriebenen Deutschen stirbt langsam aus. Da schreibt ein junger Österreicher einfach einen Vertriebenenroman und setzt so ein altes Thema, das nur noch die Ewiggestrigen zu bewegen scheint, in neues Licht. Britta Behrendt traf Constantin Göttfert in Amsterdam und sprach mit ihm über “Steiners Geschichte” und darüber, ob ein Beziehungsende
Read More Ein charmanter Lügner – Mit jemandem sprechen, der die Lüge zur Kunstform erhoben hat und seine Romanfiguren sagen lässt, „dass es bei der Beantwortung einer Frage nicht darauf ankommt, die Wahrheit zu sagen, als viel mehr, den Frager in Erstaunen zu versetzen, indem man genau das sagt, was er hören will“, ist eine Herausforderung. Michael Köhlmeier macht in seinem neuesten Roman “Die Abenteuer des Joel Spazierer” einen Lügner und Mörder zum Helden. Ganz nebenbei passieren dunkle und weniger dunkle Kapitel der jüngsten europäischen Geschichte Revue, der Ungarnaufstand, der kalte Krieg
Read More Eine „Great Dutch Novel“ – Mit einem starken Debüt, in dem er den mitreißenden Aufstieg und Fall einer Familie beschreibt, betritt der Niederländer Peter Buwalda die internationale Literaturbühne – und wird dafür schon jetzt mit den Größten seiner Zunft wie Jonathan Franzen oder Patrick Roth verglichen. “Bonita Avenue” war für neun Buchpreise nominiert und gewann davon vier. Gegenüber Videoredakteurin Britta Behrendt verrät Buwalda, wie man sich eine Geschichte ausdenkt und dabei die eigene Biographie durch die Hintertür hereinlässt und wie man über Schulnoten für einzelne Kapitel den perfekten Roman erschafft.
Read More Ich suchte die Ferne – doch Mutter kam einfach mit – Richard Russo liebt krumme Typen und merkwürdige Lebensgeschichten. Die Welt der amerikanischen Kleinstadt-Mittelklasse jenseits von Glamour und dem amerikanischen Traum hat ihm mit seinem Roman “Empire Falls” 2002 sogar einen Pulitzer-Preis beschert. In seinem aktuellen Buch “Elsewhere: A memoir” erzählt Russo seine eigene Geschichte und die seiner alleinerziehenden Mutter in den 50er und 60er Jahren, die sich weigert, angesichts der schwierigen Verhältnisse ihre Würde zu verlieren. Eine Mutter-Sohn-Beziehung mit komischen Zügen, vor allem, wenn die Mutter beschließt, zum Studium des
Read More “Ich bin ein Hinterkopfschreiber”, sagt Gerbrand Bakker über seine Schreibweise. Ein paar Elemente, ein Anfang und dann schreiben. Wenn das Buch fertig ist, überlässt er es seinem Lektor, das Thema zu bestimmen. Die Elemente von “Der Umweg”: Nordwales, Emily Dickinson und eine Heldin, die viele Schmerztabletten schluckt. Gerbrand Bakkers erstes Buch “Oben ist es still” (zur CM-Rezension) über einen Sohn, der seinen alten Vater ins Obergeschoss seines Hofes verbannt, machte ihn in den Niederlanden zum neuen Star der Literaturszene. Der Roman ist gerade verfilmt worden. Der diplomierte Gärtner, der sich
Read More „Ein zentrales Stück deutsch-niederländischer Geschichte“ – Selbst Justin Bieber nahm sich auf seiner Europatournee die Zeit, das Amsterdamer Versteck von Anne Frank zu besuchen (und einen recht unbescheidenen Eintrag im Gästebuch zu hinterlassen). Ihr Tagebuch vermittelt wie kein anderes Buch ein Gefühl und ein Bild für das Leben der untergetauchten Juden im Nationalsozialismus. Und doch war Anne Franks Schicksal nicht in jeder Hinsicht exemplarisch. Barbara Beuys hat sich in „Leben mit dem Feind“ mit der Judenverfolgung in Amsterdam beschäftigt, wo die deutschen Besatzer in gewisser Weise einen Sonderweg beschritten. Die
Read More Kinder-Kriegsgeschichten – Der Film „Lore“ bezaubert zurzeit das europäische Publikum mit der Geschichte eines Mädchens im Sommer 1945. Lore ist Tochter strammer Nazi-Eltern, die nach der deutschen Kapitulation interniert werden und Lore mit ihren drei kleinen Geschwistern und einem Säugling zurücklassen. Ihre einzige Hoffnung ist die tausend Kilometer und drei alliierte Zonen entfernt lebende Großmutter. Rachel Seiffert hat die Romanvorlage „Die dunkle Kammer“ bereits 2001 veröffentlicht und landete mit diesem Erstling prompt auf der Shortlist zum Booker Prize. Dieses Roadmovie der anderen Art flankiert zwei weitere Kinder-Kriegsgeschichten, die weniger dramatisch
Read More Slapstick und Tabu – Neun Jahre hat der Diogenes Verlag gezögert, Arnon Grünbergs Roman „Der jüdische Messias“ im deutschen Sprachraum herauszugeben. Und das ist nicht so verwunderlich, denn der Autor scheint sich vorgenommen zu haben, die Schmerzgrenze seiner Leser noch weiter auszurecken. Tabubrüche gehören zu Grünbergs Markenzeichen, sicher, aber spätestens, wenn der Held der Geschichte illegal in einer Art Käselager von einem ungewaschenen jüdischen Quaksalbern beschnitten wird, stellen sich auch Hartgesottenen die Nackenhaare auf. Mit einem Spiel aus Slapstick und Tabu untersucht Grünberg Anti- und Philosemitismus. In den Niederlanden wurde
Read More Verschiebungen im Wertesystem – Ein Ausspruch der Kanzlerin war es, der Ingo Schulze stutzig machte, der Begriff „Marktkonforme Demokratie“. Müssten es nicht „Demokratiekonforme Märkte“ sein? Steht der Markt wirklich über der Demokratie oder war der Kanzlerin da nur ein Versprecher entfleucht? Diese Verschiebungen im politischen Wertesystem, die sich mit der Finanzkrise vermehrt in unser Denken eingeschlichen haben, interessieren Schulze. In der zu einem Essay ausgearbeiteten Rede „Unsere schönen neuen Kleider“ legt Schulze mehr von diesen, die Wirklichkeit verdrehenden Begriffsfunden vor. Ein Appell wie von dem Kind im Märchen „Des Kaisers
Read More Vom Umgang mit Trauer und Verzweiflung – Es ist ein Schicksal, das als Roman nicht glaubwürdig wäre. Zwanzig Jahre nach dem tragischen plötzlichen Todes ihres Mannes Ischa Meijer, verliert Connie Palmen in einem Jahr nicht nur ihren über alles geliebten Mann, den Staatsmann Hans van Mierlo, sondern begräbt auch noch ihre Schwägerin, zahlreiche engste Freunde (unter ihnen Harry Mulisch, Autor von „Die Entdeckung des Himmels“) und ihre Stieftochter. In dieser Zeit entsteht das „Logbuch eines unbarmherzigen Jahres“. Britta Behrendt traf die „Grande Dame“ der niederländischen Literatur in ihrem Haus in
Read More Auf Heineken eineken – Das Wurst-Käse-Szenario: Als frischgebackene Journalistin mit dem ersten Job in der Tasche verliebt sich die Autorin beim Sprachkurs in Spanien ausgerechnet in einen Holländer. Die Geschichte nimmt ihren Lauf und heute – mehr als 20 Jahre später – ist Kerstin Schweighöfer etablierte Auslandskorrespondentin in den Niederlanden. Für den Deutschlandfunk und andere deutsche Medien hat sie viel berichtet über Kühe, Kiffer und Kalvinisten. Jetzt ist ein Buch daraus geworden, in dem Schweighöfer ihre persönliche Geschichte mit Wissenswertem und Hintergrundinformationen über „den Holländer“ verbindet. Britta Behrendt traf die
Read More „Was hätte ich getan?“ Ein Roman über das Dritte Reich und den Stalinismus von einem 36-jährigen. Geht das? Nir Baram gilt in Israel als eine Art literarisches Wunderkind. „Gute Leute“ ist sein dritter Roman, den er neben seiner Tätigkeit als Herausgeber einer historischen Reihe und als politischer Kolumnist geschrieben hat. Der Roman stand in Israel vier Monate auf der Bestsellerliste und dreht sich um zwei scheinbar normale Menschen unter zwei extremen Regimes. Ein deutscher Mitläufer und eine russische Kollaborateurin versuchen unter dem Terror von Hitler und Stalin so gut wie
Read More Schonungslose Offenheit – Ein Roman über das erste Mal, aber kein Porno und sicher kein Liebesroman. Marie Darrieussecq legt in ihrem neuen Roman „Prinzessinnen“ die Pubertät und das Erwachsenwerden unters Mikroskop. In der französischen Provinz der 1980er Jahre erlebt Solange ihren ersten Sex, unter anderem mit ihrem Nachbarn, einem erwachsenen Mann, der sie seit ihrer Kindheit mit aufzieht. Lolita revisited, aber dann anders. Und das ist nur eine Folie des Romans, der schon im Titel auf einen anderen (französischen) Klassiker, „Die Prinzessin von Clèves“ von Madame de LaFayette aus dem
Read More Ein Schelm aus Bagdad bei der Waffen-SS – Zur Feier und Präsentation der niederländischen Ausgabe seines Romans kam Sherko Fatah nach Amsterdam. Der Verlag Cossee hat Fatahs neuestem Roman „Ein weißes Land“ für die niederländische Ausgabe den Titel „Der Dieb von Bagdad“ gegeben, ein gelungener Fund für einen Schelmenroman des 20. Jahrhunderts. Sein Schelm erlebt nahezu unglaubliche Abenteuer, die doch allesamt wahr sein könnten. Fatah erzählt, dass er die Fakten zu seiner Geschichte minutiös recherchiert hat. Manche Schilderungen des Bagdad der 30er Jahre sind von Familienerzählungen inspiriert und andere Geschichten
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