Geschrieben am 24. Mai 2007 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Jetzt also Kapuscinski

Jetzt also Kapuscinski

Vor Jahr und Tag geistert einmal eine gespenstische Nachricht durch den feuilletonistischen Hühnerhaufen der Republik. Da war irgendeinem diensthabenden Redakteur der taz von irgendeiner Quelle eine heiße Nachricht zugespielt worden. Ein in linksliberalen Kreisen der damals noch westdeutschen Kulturszene geschätzter Übersetzer sei in jugendlichen Jahren alles andere als ein Anti-Faschist gewesen. Er habe weit von Deutschland entfernt am anderen Ende der Welt den ‚Homme des Lettres’ gespielt, sei aber in Wirklichkeit ein Nazi-Spion gewesen. Nichts genaues wußte man zwar nicht, aber das Gerücht war in der Welt und der dazu gehörende Artikel in einer leidlich auflagenstarken ‚Tageszeitung’ sorgte für einen angemessenen Wellenschlag der Empörung in den korrekt antifaschistischen Milieus. Was an den Vorwürfen Dichtung, Wahrheit oder bloße Denunziation war, konnte man nicht nachprüfen. Gerüchte, einmal in die Welt gesetzt, lassen sich ja ohnehin schwer widerlegen. Irgendetwas wird schon stimmen, auch wenn das Gegenteil bewiesen werden könnte. Keine Gerüchte aber waren die vielen Bücher, Romane, Erzählungen, Gedichte, die uns der Übersetzer aus der fremden Sprache ins Deutsche hinübergetragen hat. Und es waren alles Werke, die uns die toleranten, hedonistischen, humanen Kulturen vom ‚anderen Ende der Welt’ nahegebracht haben. Alles das, was den Nazis, ihren Zujublern, ihren Vernichtungsbeamten verhaßt war, liebte der Übersetzer und wir dankten – und danken – es ihm, daß er uns an die entsprechende Weltliteratur mit seinen Sprachkenntnissen herangeführt hat.

Zeit- und Ländersprung, aber wir bleiben in Europa: erst wenige Monate ist es her, daß man in Polen mit großer öffentlicher Anteilnahme Ryszard Kapuściński , einen der vielleicht bedeutendsten „Weltreporter“ des XX. Jahrhunderts begraben hat. Teilnehmer an der Begräbnisfeier schilderten nicht ohne Bewegung, wie spürbar tief die Trauer bei allen gewesen ist, die Ende Januar von Kapuściński Abschied genommen haben. Mit seinen großen Reise- und Kriegsreportagen aus Afrika, Lateinamerika oder Asien hat er die von kommunistischen Provinzfürsten zugenagelten Fenster Polens hin zur Welt geöffnet. Er hat die zugegipste und einbetonierte ‚internationale Soldarität der kommunistischen Bruderstaaten’ mit seinen Reportagen auseinandergebrochen, um die wirkliche und nicht die ideologisch gewünschte Welt sichtbar werden zu lassen. Durch die Übersetzungen von Martin Pollack konnten dann auch die nur der deutschen Sprache mächtigen Leser etwas von der Welt des Ryszard Kapuściński erfahren, die sie wahrscheinlich niemals in ihrem Leben sehen und erleben werden. Niemand konnte zweifeln, daß irgendwann auch dieser schreibende Fensteröffner und Weltliebhaber in den nationalistisch-katholischen Abrechnungsfuror der heute in Polen regierenden Politiker und ihrer Vergangenheitsschnüffler geraten würde. Jüngst hatte sich erst der wegen seiner wissenschaftlichen Arbeiten und seiner Solidarität mit der anti-kommunistischen ‚Solidarnosc’-Bewegung international hoch angesehene Historiker Borislaw Geremek gegen die gegenwärtige die polnische Kultur umpflügenden Nationalkonservativen in Warschau aufgelehnt. Jetzt also Kapuściński. Es seien Dokumente aufgetaucht, mit denen die Zusammenarbeit des Weltreporters mit den alles und jeden ausspionierenden Provinzkommunisten belegt werden könnten. Die Jahre, in denen der Journalist Recherche und Spionage vermischt habe, liegen zwar schon lange zurück. Und persönlich geschadet habe er auch niemanden durch seine angeblichen/ tatsächlichen Spitzeldienste. Aber das Gerücht ist nun mal ausgestreut und noch so viele Ehrenerklärungen von Zeitzeugen, Freunden und Intellektuellen aus aller Welt, werden es nicht zum Verschwinden bringen. Man kann nur hoffen, daß die durch die Reportagen von Ryszard Kapuściński an die Welt herangeführten Polen stark genug sind, sich dem Schließen der Fenster zum zivilen, multikulturellen, demokratischen Europa, zu widersetzen. Wer seine Reportagebände gelesen hat, weiß ohnehin, daß die europäische Kultur dem Weltbürger Kapuściński viel, den nationalistischen Denunzianten von ‚Radio Maria’ aber nichts verdankt. Es wird Zeit, das – wo auch immer in „diesem unseren Europa“ – endlich deutlicher zu sagen und zu schreiben.

Carl Wilhelm Macke