Aleks Scholz ist Autor und Astronom. In seiner Kolumne „Lichtjahre später“ erklärt er regelmäßig alles, was wir über das Universum wissen müssen. Seit Januar 2013 befindet er sich auf einer Irrfahrt über den Nachthimmel. Heute: Kommunikation mit Außerirdischen.
Die Quallen-Sinfonie
“Der Stern Errai ist 45 Lichtjahre von uns entfernt. Das heißt, wollten wir ihn anfunken, dann wäre das Signal erst in 45 Jahren dort. Genau das macht der Fernsehsender Arte aber heute ganz tapfer und sendet das erste Fernsehprogramm für den Stern Errai schon mal los.” – So moderiert Anne Will an einem Samstag im September 2006 einen Beitrag in den Tagesthemen an. Am selben Abend schickt Arte seinen Film an die Außerirdischen ab. Zweieinhalb Stunden über Menschen, Erde, Tiere, Kultur, Musik, Technik, Raumfahrt, und als Bonustrack ein paar Botschaften, die Arte-Zuschauer per Internet eingesandt hatten. Im Jahr 2041 wird Artes “Cosmic Connexion” am Bestimmungsort “ausgestrahlt” werden, vielleicht auch an einem Samstag, je nachdem, ob das Konzept Samstag universell ist. Anne Will: “Ob die Samstag abends Fernsehen gucken, weiß natürlich keiner.”
Errai ist ein alter Bekannter: Gamma Cephei, das Dach im Haus vom Nikolaus, der Stern mit dem entdeckten, dann wieder verworfenen, dann wieder entdeckten Exoplaneten. Ob es dort drüben Leben gibt, ist völlig ungewiss. Aber warum nicht, könnte der Optimist argumentieren. Artes Fernsehbotschaft war natürlich nicht die erste Nachricht an Außerirdische. In der ziemlich genau 50jährigen Geschichte unserer bisher einseitigen Kommunikation mit dem Weltall gab es etwa ein geplantes Dutzend Botschaften an mehrere Dutzend Sterne, genannt METI – Messaging Extraterrestrial Intelligence. Einige waren rein symbolischer Because-we-can-Natur, zum Beispiel Frank Drakes hübsches Retrodesign aus dem Jahr 1974, gesendet an den Kugelsternhaufen M13 im Sternbild Herkules. M13 befindet sich am anderen Ende der Milchstraße und ist immerhin 23.000 Lichtjahre entfernt, nicht nur läppische 45. Danach konzentrierten sich die kosmischen Lautsprecher vorwiegend auf nähere Ziele, Sterne in der sogenannten Nachbarschaft der Sonne. Wie Gamma Cephei. Der Polarstern. Spica, der hellste Stern in der Jungfrau. Altair im Adler. Überraschend viele Sterne vom Sommerhimmel. Das kosmische Sommerloch muss gefüllt werden.
Was den Inhalt der Nachrichten angeht, haben sich zwei METI-Philosophien etabliert. Eine davon lässt sich als das “Prinzip Hoffnung” bezeichnen. Die Annahme, dass der andere schon genau das verstehen wird, was wir auszudrücken glauben, hat schon Tausende Ehen und Freundschaften zerrüttet, aber sie hält sich erstaunlich hartnäckig. Einfach ein paar Worte und Bilder zusammenwerfen, sie werden es schon kapieren. Klar, sie sind ja auch nur 45 Lichtjahre entfernt. What could possibly go wrong. Oder noch schlimmer: Musik. Bisheriger Höhepunkt des Aberglaubens: Im Jahr 2001 schickt der russische “Chief Scientist” Alexander Zaitsev die “Teen Age Message” an sechs Sterne. Sie enthält ein auf dem Theremin gespieltes Konzert. Zur Erinnerung: Das Theremin ist eines der ersten elektronischen Musikinstrumente, erfunden vom Russen Leon Theremin, gespielt kontaktlos mit beiden Händen, ein Gerät, das in der Hand eines Laien praktisch immer wie eine Katze beim Geschlechtsverkehr klingt. Was nichts heißen muss, das gilt für die Klarinette auch. Die Musik, so Zaitsev, soll Informationen über unsere Gefühle übermitteln. Über die universelle Sprache der Kunst. Natürlich.
Noch lustiger war nur die betrunkene Nachricht, die 1983 von den Japanern Hirabayashi und Morimoto an Altair geschickt wurde. Die übermittelten Bilder zeigen eine Art Familienporno, einen Fisch, der bergauf schwimmt, ein Kreuzworträtsel und außerdem auch alle unsere dreckigen Vorurteile über die Gestalt von Aliens. Außerdem steht dort offenbar die chemische Formel für Alkohol, das englische Wort „TOAST“ sowie der japanische Ausdruck für „Prost!“. „Das werden sie vermutlich nicht verstehen“, so Hirabayashi leichtfertig. Altair ist nur 16 Lichtjahre entfernt, die Antwort dürfte also schon 2015 eintreffen, Zeit, sich allmählich Sorgen zu machen. Radioteleskope sollten nur noch mit Kindersicherung ausgeliefert werden.

Thumbs down? What’s up? Who are you, jellyfish? Quelle: Flickr. Credit: Tom Hodgkinson
Zeit, sich in Demut zu üben. Zum Beispiel, indem man versucht mit rätselhaften Wesen vor der eigenen Nase zu kommunizieren. Quallen zum Beispiel. Wer sind wir, dass wir mit Außerirdischen reden wollen, bevor wir mit Quallen Scrabble spielen können? Man kann reden, schreien, vorsichtig anklopfen, mit dem Fuß aufstampfen, emotional werden, es noch mal vernünftig probieren, mit den Fäusten an die Meeresoberfläche trommeln – das komplette Arsenal an Kommunikationsmustern, die dem Menschen zugänglich sind, prallt an der Qualle ergebnislos ab. Bis heute ist mir niemand bekannt, der auch nur einen Gedanken an eine Qualle übermitteln konnte, und umgekehrt. Not for lack of trying.
Wir müssen ganz von vorne anfangen. Wie kommuniziert man, ohne sich vorher auf eine Sprache, ein Protokoll, eine Referenzsystem geeinigt zu haben? Eine Frage, an der viel zu wenige Informatiker und Linguisten voller Tatendrang arbeiten. Antikryptographie heißt die Kunst, eine Nachricht so zu schreiben, dass sie von einem Empfänger verstanden werden kann, auch wenn er nichts darüber weiß, wie die Nachricht entstanden ist. Man stelle sich ein Computerprogramm vor, das selbst lernen kann, wie es E-Mail-Attachments zu lesen hat, auch wenn es keine Ahnung hat, um welche Art Dateien es sich handelt. Antikryptographie macht Schluss mit der MOV/MPEG/AVI-Verwirrung und tausend anderen ähnlich gelagerten Problem. Endlich keine Fenster mehr, die einen darauf aufmerksam machen, dass der Dateityp unbekannt ist und man erst Dinge installieren muss. Der praktische antikryptographische Computer bringt sich alles selbst bei. Antikryptographie ist außerdem der Schlüssel zur Kommunikation mit den Außerirdischen.
Aber trotzdem braucht man einen Einstieg, einen Anfang. Eine Art “how are you” der interstellaren Kommunikation. Die zweite Art METI verzichtet auf Gefühle, auf Bilder, auf anthropozentrische Symbole, und beruht allein auf der Sprache der Logik. Sie macht nur eine einzige Annahme über die Außerirdischen: Sie leben im selben Universum wie wir. Ein Universum, das voll mit Wasserstoffatomen ist, die man daher als praktische Längen- und Masseneinheit benutzen kann. Die Aliens müssen sich mit Wasserstoff auskennen.
Ein gutes Beispiel für eine solche fortgeschrittene Sprache fürs Weltall ist der “Interstellar Rosetta Stone” der kanadischen Astronomen Yvan Dutil und Stephane Dumas. Verwendet wurde der Code bei der Botschaft “Cosmic Call”, ausgestrahlt im Jahr 1999 an vier Empfänger: Bessels Parallaxenstern 16 Cygnus, zwei Sterne in der unscheinbaren Herbstkonstellation Pfeil, und, ebenfalls im Schwan, Gliese 777, von dem wir mittlerweile wissen, dass ihn mindestens zwei Planeten umkreisen. Die Nachricht wird Gliese 777 im Jahr 2051 erreichen. Die Kreation von Dutil und Dumas besteht aus 23 Seiten, die mit allen möglichen Zeichen vollgeschrieben sind, Zeichen, die an Runen oder Graffititags erinnern. Die erste Seite beschreibt unsere Zahlen, hoffentlich auch ihre Zahlen. Seite zwei handelt von den Grundrechenarten, auf Seite acht kommt Wasserstoff ins Spiel, auf den Seiten 12 bis 15 geht es um die Erde, und Seite 22 beschreibt unsere Kosmologie, alles ohne Theremin. Die Nachricht wäre selbst für einen Menschen eine Herausforderung und dürfte selbst klugen Leuten ein Wochenende unterhaltsames Rätselraten einbringen, aber immerhin könnte sie jeder entziffern, der in unserem Universum lebt. Jeder. Theoretisch. Auf der letzten Seite richten wir ein paar Fragen an den Empfänger. Zum Beispiel, ob sie lesen können. (Ein Scherz.)
Aber selbst, wenn wir eine Sprache finden können, das Problem liegt eventuell tiefer. Das Amazonasvolk der Pirahã kennt keine Wörter für Farben. Schlimmer noch: Ihre Sprache besitzt keine Begriffe für Zahlen – abgesehen von zwei sehr vagen Wörtern, die „so etwas wie eins“ und „eher vielleicht zwei“ bedeuten. Dabei sind sie nicht etwa dumm, Zahlen interessieren sie einfach überhaupt nicht, weil es in ihrem Leben auch ohne geht. Sie jagen eben nie mehr als ein oder zwei Tiere. Das Überraschende jedoch: Selbst wenn man ihnen wochenlang Unterricht gibt, können sie kaum weiter als bis zwei oder drei zählen. Zum Vergleich: Manche Schimpansen schaffen es fehlerfrei bis neun. Den Pirahã fehlen nicht nur die Begriffe, ihnen fehlen offenbar wirklich die Zahlen. Der Cosmic Call würde an ihnen ergebnislos abprallen.
Kann man Dinge denken, für die man keine Worte hat? Ist Sprache nur eine harmlose Hülle für Gedanken oder aber der Kern des Ganzen? Ist Sprache eine nebelartige Schicht zwischen uns und der Welt oder aber existiert die jeweilige Welt nur mit Hilfe der Sprache? Oder ist Sprache vielleicht eine Art Pflug, die uns erst erlaubt, in der Wirklichkeit herumzuwühlen? Anders ausgedrückt: Ist die Sapir-Whorf-Hypothese ein Witz?

Logo des WETI-Instituts. Credit: Martin Baaske/WETI
Es sind all diese komplizierten Erwägungen, die im Jahr 2008 zur Gründung des WETI-Instituts führten. Warten auf extraterrestrische Intelligenz, Warten statt Suchen. Wenn es sie gibt, sind sie vermutlich klüger als wir. Wir wissen noch nicht einmal seit hundert Jahren so ungefähr, wie das Universum tickt. Warum sollte ausgerechnet der Dümmere den Anfang machen? All good extraterrestrials come to those who wait.
Aleks Scholz
Der Nachthimmel im Internet, zum Nachvollziehen der Reise.
Aleks Scholz, geboren 1975, ist Astronom und Schroedinger Fellow am „Institute for Advanced Studies“ in Dublin, Irland. Er befasst sich vorwiegend mit der Entstehung und der Entwicklung von Gelben, Roten und Braunen Zwergen. Zuletzt erschien im CulturBooks-Verlag „Lug, Ton und Kip. Die Entdeckung der Wicklows“ (mehr hier). Foto: Ira Struebel. Aleks Scholz bei Google+.