Geschrieben am 15. Mai 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Adonis

Adonis_Mariusz KubikAuf die Nacht der Bilder zu
Als wir noch die gleichen Träume hatten
Und die gleichen Segel
Wie die Seefahrer der Liebe
Als wir ihre Gestade entdeckten:
Ebbe und Flut, wir erheben uns und wir sinken nieder
Mein Leib reiste in einem Schiff
Aus Sehnsucht,
Und meine Gesänge in einem Schiff
Aus Funken –
Auf die Nacht der Bilder zu.

Unsere Liebe –
Wir sollten ihre Wälder vermählen
Mit der dort anbrandenden Luft –
Unsere Liebe durchforstet die Berge und Ebenen, die sie
Ringsum umzingeln

Unsere Liebe – eine Treppe die hochführt und wieder hinab
Ganz Pracht und Offenbarung

Wir sollten unsere Umlaufbahnen ausleuchten
Und den Raum
Samt seinen Legenden
Wir sollten den Fernen in uns lauschen
Und deren dürren Wüsten
Sollten sehen, was der Himmel nicht zu sehen vermag

(Aus dem Französischen von Ingeborg Waldinger)

 

Bedenklich ist es schon, aus einem langen, über viele Seiten ausgebreiteten Liebesgedicht einfach zwei Passagen „herauszuschneiden“, um sie dann als einzelne Gedichte zu präsentieren. Aber schon aus rechtlichen Gründen ist es nicht möglich, ein ganzes Buch „online“ zu stellen. Aber man müsste es eigentlich tun, denn nur so würde man dieses sowohl in seinem Inhalt wie in der Form so wunderbar gelungene Buch aufnehmen können.

So bleibt nur der Wunsch an interessierte Leser, sich das Buch von Adonis mit dem Titel „Der Wald der Liebe in uns“ anzuschaffen, um dann Seite für Seite tiefer in diese große Liebeshymne einzutauchen, sie wieder neu zu lesen, um sie besser zu verstehen. Aber kann man „Liebe“ denn überhaupt verstehen? Kann man für sie Worte finden, die eine Ahnung ihrer Bedeutung, ihrer Macht, ihrer Versprechungen, ihrer Illusionen und Hoffnungen widerspiegeln?

Liebe, das sei, so schrieb Adorno einmal, die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen. So versucht ein Philosoph „Liebe“ zu definieren. Und wie versucht der Dichter Worte für die „Liebe“ zu finden? „Seit Jahren/ lustwandle ich im Wald der Sinne/ und hüte die Gazellen meiner Gedanken/ Mein Verstand verweigert die Dinge, wie sie sich offenbaren/ wird die Augen meiner Liebe/ es lieben sie zu sehen/ Und meine Tollheit ist nahe daran/ Vernunft zu werden.“ (Mehr hier).

Als Ali Ahmad Said Esser wurde Adonis 1930 in einem kleinen Dorf im Westen Syriens geboren. Früh, schon mit 17 Jahren, nahm er den Namen des griechischen Fruchtbarkeitsgottes an. In den späten 5oer-Jahren verließ er Syrien, um zuerst im Libanon, später in Frankreich politisches Asyl zu suchen. Seit 1985 lebt er in Paris, schreibt Gedichte und mischt sich auch von Zeit zu Zeit mit Essays in das Weltgeschehen ein. Mit großer Freude hat er die kulturellen Aufbrüche in den nordafrikanischen Staaten zunächst begrüßt, ist dann aber immer mehr auf Distanz gegangen vor allem gegenüber den fundamentalistisch-islamistischen Strömungen innerhalb des sogenannten „Arabischen Frühlings“. Mit großem Pessimismus registriert er die Gewalt in seiner Herkunftsheimat Syrien. „Die Revolution“, sagte Adonis jüngst in einem Gespräch mit einer österreichischen Zeitung, „in der arabischen Welt – die auf allen Ebenen dem Mittelalter näher ist als der modernen Zeit – hat keine Chance, wenn sie nicht laizistisch ist.“

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist erschienen in Adonis: Der Wald der Liebe in uns. Liebesgedichte. Aus dem Französischen von Ingeborg Waldinger. Salzburg: Jung und Jung Verlag 2013. 152 Seiten. 22,00 Euro. Foto: Mariusz Kubik, Creative Commons, Quelle.

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