Geschrieben am 24. September 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Amelia Rosselli

Amelia_RosselliMeine zerfetzte Seele
musste
notwendig zu deiner werden.

Besiegt von deiner Seele
kümmerte sich meine Seele nicht um sich
und wurde du.

Besiegt von dir habe ich dir
einen starken Körper geschenkt,
sanftes Begehren,
Täuschungen vielleicht

Nun öffnet sich nicht mehr
der Sarkophag meiner Wünsche.

Übersetzt von Georg Dörr

 

Kein Geringerer als Pier Paolo Pasolini hatte großen Anteil an dem literarischen Werdegang von Amelia Rosselli. Eine erste Auswahl früher Gedichte von der 1930 in Paris als Tochter einer Engländerin und eines bedeutenden liberalen Antifaschisten geborene Lyrikerin stellte Pasolini 1963 in der Zeitschrift Il Menabò vor. Singulär war die Rosselli nicht nur als Frau innerhalb der zeitgenössischen Italienischen Lyrik, sondern auch in ihrer Beherrschung von zwei weiteren Fremdsprachen. Sie schrieb ihre Poesie zeitweise abwechselnd in italienischer, französischen und englischer Sprache. Dass viele ihrer Gedichte von Düsternis und Schwermut („meine zerfetzte Seele“) eingefärbt sind, hat sie mit der zeitlebens auf ihr lastenden Ermordung des Vaters durch die Faschisten begründet. Ein letzter Zyklus wurde 1981 publiziert, ein letztes Mal schlug sie vor dem Rückzug ins Schweigen einen klaren, manchmal klassenkämpferischen Ton an. „Ich bin keine Bürgerin“, lautete die erste Zeile, die als basso continuo den gesamten Band hindurch klingt.

Das Leiden an der Parkinsonschen Krankheit und schwere Depressionen ließen Amelia Rosselli dann in den achtziger Jahren öffentlich fast vollkommen verstummen. Nur ältere, unveröffentlichte englische Gedichte von ihr erschienen in italienischer Übersetzung. Am 11. Februar 1996, dem gleichen Tag wie die von ihr verehrte und übersetzte Dichterin Sylvia Plath 33 Jahre vorher, beging Rosselli Selbstmord in Rom. Die Umstände ihres Abschieds aus dem Leben rufen den Namen eines anderen italienischen Schriftstellers in Erinnerung, in dessen Leben ebenfalls die Verbrechen der Faschisten eine tiefe unauslöschliche Spur hinterlassen haben. Stürzte sich nicht auch Primo Levi knapp Zehn Jahre zuvor aus der Höhe auf den Boden seines Treppenhauses?

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Italienische Lyrik nach 1945. Tübingen, 1986. Foto: Wikimedia, Creative Commons. Autor: Fabio Matteo, Quelle.

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