Geschrieben am 21. Mai 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Ben Okri

Ben Okri_WildWILD

There’s a surprise at the end.
Everything should connect
With everything. The brain
Cools the blood, and the blood
Cools thought. Those ancients saw
The world as it is,
A system of co-operation,
Where things are both themselves
And symbols and correspondences.
Might it not be that a movement
Of paint here on plain wood
Is a retreat on a distant
Battlefield; or that a child
Moving counters on a blue
Tarpaulin is an upward curve
In the moment of a sleeping civilisation?
The strumming of a guitar moves
A faraway village to its harvest.
A child cutting cane-brakes
In a fading farm might cut
The knot that opens a new time
Of peace in the mysteries
Of the Middle East.
A snail crushed on a road
Could be the birth
Of a nation state.
A dog barking in the East
Might free the economies in
The sultry South.
A lover’s breathing in the depth
of a Winter’s night
Could be a moment’s cool
Inspiration in the southern seas.
A dreamer tossing coins
In an unterwater city could
Have launched the thought
That led to relativitiy.
The reality of the sun
In the music of the earth.
A dolphin falls in love,
And there are a million
Pregnancies in the minds of men.
A salmon’s leap
Is a philosopher’s insight.
Cosmologies are born
When statues dance.
A poet’s thought
Unfurls unknown constellations.
The movement of the brush,
The ovulation of colours,
Send dreams through the Milky way.
Reconciliation of friends
Is music to the ghosts.
And a thought of love
Send the hint of the tuberose
To the smiling afterlife.
But how much of over there,
Like the tug of a universal web
Falls like hail or change here?
Some of our best moments
Are the reverse thoughts
Of our dead mothers.
And that wild inspiration
Which surprises thinkers,
And poets, inventors and musicians
In the ambivalent dawn,
The inspiration after fatiguing
Work, after despair, after every line
Has been exhausted;
The flash that turns the world
Upside down and therefore
The right way up at last,
Was it not the backward
Flowing world blood from Elysium,
Where masters of the unknown
Pipe lovely melodies
Through the fountains
And the gardens,
Through the infinite dialogue
Of the big and small,
Seen and unseen,
Felt and unfelt,
Like lovers coming back
From death?

 

Wild

Am Ende ist es eine Überraschung.
Alles soll mit allem
Verbunden sein. Das Hirn
Kühlt das Blut und das Blut
Kühlt das Denken. Die Alten sahen
Die Welt wie sie ist,
Ein System des Zusammenspiels,
In dem Dinge sowohl sie selbst sind
Als auch Symbole und Bezüge.
Kann es nicht sein, dass ein Pinsel-
Strich auf nacktem Holz hier
Auf einem fernen Schlachtfeld
Einen Rückzug bedeutet, oder dass ein Kind
Beim Aufdecken einer blauen Zeltplane
Die aufsteigende Kurve
Einer schlafenden Zivilisation weckt?
Das Klimpern einer Gitarre bewegt
Ein weitentferntes Dorf zur Ernte.
Ein Kind, das auf einer zerfallenden Farm
Zuckerrohr schneidet, zerschneidet
Vielleicht den Knoten, aus dem sich
In den Mysterien des Nahen Ostens
Eine neue Friedenszeit ergibt.
Eine auf der Straße überfahrene Schnecke
Mag die Geburt eines National- Staats einleiten.
Ein im Osten bellender Hund
Belebt vielleicht die Wirtschaft
Im schwülen Süden.
Der tiefe Atemzug eines Liebenden
In einer Winternacht
Wird vielleicht zum kalten Geistesblitz
Der Inspiration in den südlichen Meeren.
Ein Träumer wirft Münzen
In einer Unterwasserstadt und befeuert
Am Ende den Gedanken,
Aus dem die Relativität entstand.
Die Realität der Sonne
In der Musik der Erde.
Ein Delphin verliebt sich
Und schwängert den Verstand
von Millionen Menschen.
Der Sprung des Lachses
Wird zur Erkenntnis eines Philosophen.
Kosmologien werden geboren
Im Tanz von Statuen.
Das Denken eines Dichters
Entfaltet unbekannte Konstellationen.
Der Strich einer Bürste,
Ein Eisprung von Farben,
Schicken Träume durch die Milchstraße.
Die Versöhnung von Freunden
Klingt den Geistern wie Musik.
Und ein liebender Gedanke
Schickt den Hauch von Tuberosen
Ins lächelnde Jenseits.
Aber wieviel von dem, das dort drüben
Am universalen Netz zupft, prasselt hier
Herab wie Hagel oder Münzen?
Manche unserer besten Augenblicke
Sind die wahrgewordenen Ängste
Unserer toten Mütter.
Und diese wilde Inspiration,
Die Denker überf.llt,
Dichter, Erfinder and Musiker
In der zwielichtigen Frühe,
Die Inspiration nach ermüdender
Arbeit, nach Verzweiflung, nachdem
Sich jede Zeile erschöpft hat;
Der Blitz, der die Welt
Auf den Kopf stellt und damit
Endlich aufrecht,
War er nicht das rückwärts
Fließende Blut aus Elysium,
Wo die Meister des Ungewissen
Liebliche Weisen flöten
Durch die Fontänen
Und Gärten,
Durch das unendliche Gespräch
Des Großen und des Kleinen,
Sichtbar und unsichtbar,
Erfühlt und nicht,
Wie die Wiederkehr der Liebenden
Vom Tod?

Übersetzung: Brigitte Oleschinski

 

Ben Okri wurde 1959 in Nigeria geboren. Seine zweite Heimat wurde bald England. In London, später an der Universität von Essex studierte er Vergleichende Literaturwissenschaften. Sein literarisches Werk ist inzwischen relativ umfangreich: Neun Romane, mehrere Bände mit Kurzgeschichten und Essays, dazu zwei Gedichtbände: „African Elegy“ und „Mental Fight“. Eine Reihe von Literaturpreisen hat Ben Okri bereits für sein Werk erhalten, darunter den sehr renommierten Booker Prize (1959).

Seine Werke wurden in mehr als zwanzig Sprachen (auch ins Deutsche) übersetzt. Seine Gedichte wurden aber bisher bei uns wenig registriert und gewürdigt. Vielleicht, hoffentlich, ändert sich das jetzt mit dem neuen im Verlag „Das Wunderhorn“ erschienen Band „Wild“. Mit Brigitte Oleschinski konnte eine Übersetzerin gefunden werden, deren eigene Gedichte bereits vielfach mit Preisen gewürdigt wurden.

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Ben Okri: Wild. Gedichte. Übersetzt von Brigitte Oleschinski. Verlag Das Wunderhorn, 2014. 184 Seiten. 18,90 Euro.

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