Geschrieben am 25. September 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Eugènio de Andrade

Eugénio_de_AndradeDas Salz der Sprache

Höre, höre: ich habe noch etwas zu sagen.
Es ist nicht wichtig, ich weiß, es wird nicht die Welt retten, wird niemandes Leben ändern – aber wer ist heute imstande, die Welt zu retten oder auch nur den Sinn irgendeines Lebens zu verändern?
Höre mich an, ich halte dich nicht auf.
Es ist wenig, wie der Nieselregen,
der langsam herniederrinnt.
Es sind drei, vier Wörter, wenige mehr.
Wörter, die ich dir anvertrauen will.
Damit ihr Licht nicht erlischt,
ihr kurzes Licht.
Wörter, die ich sehr geliebt habe,
die ich vielleicht noch liebe.
Sie sind das Haus, das Salz der Sprache.

Aus dem Portugiesischen übertragen von Curt Meyer-Clason

 

Eugénio de Andrade wurde 1923 in Póvoa de Atalaia als José Fontinhas geboren und starb 2005. Über dreißig Jahre arbeitete er als Inspektor des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Porto. Um diese eintönige Erwerbsarbeit irgendwie erträglich zu machen, schrieb de Andrade aber immer auch Gedichte. Der Staatsbeamte de Andrade ist längst vergessen, der Dichter aber gehört zu den ganz großen poetischen Stimmen Portugals im XX. Jahrhundert. „Dichter“, so hat er einmal gesagt, „heißt, für die Welt des Gewinns und des Wuchers nicht geeignet zu sein.“

In der Welt des Geldes, der Salons und Empfänge war er zeit seines Lebens ein Fremder, ein Nichtsnutz, ein Verlierer. In der anderen Welt aber, der Welt der Poesie, der Gedichte und der Sprache aber war er heimisch. Er schrieb wunderbare Liebesgedichte und wer nach Worten sucht, um das Licht Portugals zu beschreiben, lese Gedichte von de Andrade. „So zitternd und nackt/ kann das Licht nur von den Sonnenblumen abstammen“… „Schaut in den Lichtschein:/ ihr werdet einen Fluß/ dicht am Herbst vorbeifließen sehen… “

Man kann als ein der portugiesischen Sprache nicht mächtiger Leser aber nicht von de Andrade schwärmen ohne seinen Übersetzer Curt Meyer-Clason zu erwähnen. Die Kritik, die häufig an seinen Übersetzungen geübt worden ist, mag begründbar und berechtigt sein. Wer aber das Glück hatte, ihn persönlich gekannt zu haben, war bei jeder Begegnung mit ihm einfach hingerissen von seiner Leidenschaft für die Poesie aus den Sprachräumen, in denen sich Meyer-Clason traumhaft sicher bewegte. Man lese dazu nur sein umfangreiches Nachwort in dem Band mit ausgewählten Gedichten von Eugènio de Andrade. Eine große Hymne nicht nur auf den Dichter de Andrade, sondern auf die verzaubernde Macht der Poesie überhaupt.

Carl Wilhelm Macke

Gedicht erschienen in: Eugènio de Andrade: Stilleben mit Früchten, München, 1997. Abbildung de Andrade: Carlos Botelho, Wikimedia Commons 2.0, Quelle.

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