Mein Haus
Staunen nach
all der Zeit
über eine Liebe.
Hatte ich sie nicht verstreut
in die Welt?
Übersetzung: Hanno Helbling
Casa mia
Sorpresa
dopo tanto
d’un amore
Credevo di averlo sparpagliato
per il mondo.
Um Giuseppe Ungaretti (1888 – 1970) vorzustellen, müsste man andere Gedichte auswählen als das aus der Frühzeit seines Werkes stammende „Casa mia“. Schließlich gehört Ungaretti zu den ganz großen ‚epochalen‘ Poeten Italiens im XX. Jahrhundert. Und auch für die europäische Poesie waren seine Gedichte jahrzehntelang mit ihren meisterhaften Verknüpfungen von Biographie und Philosophie, von Zeit- und Lebensgeschichte Maßstäbe setzend.
An einer passenden Übersetzung von dem Kürzestgedicht „M’illumino/ d’immenso“ haben Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Hilde Domin oder Michael von Killisch Horn tagelang gesessen. Hanno Helbling hat für sich die Übersetzung „Ich erhelle mich/ aus Unendlichem“ gefunden.
Im Italienischen existiert über Ungaretti eine nicht überschaubare Zahl an Sekundärliteratur. Dass er zum Kanon der Schriftsteller gehört, die ein Italiener im Verlauf seiner Schulausbildung kennenlernen sollte, ist unumstritten. In dieser Ausgabe der ‚Weltlyrik‘ nimmt Ungaretti aber nur eine Nebenrolle ein.
Sein Name ist einer von vielen der in dem Roman „Diese Liebe“ von dem um einige Jahrzehnte jüngeren Schriftsteller Roberto Cotroneo immer wieder kurz aufleuchtet, genannt wird, dann wieder verschwindet, aber lange nachhallt. „Diese Liebe“, 2008 in einer Übersetzung von Karin Krieger auf Deutsch erschienen, ist gewiss kein ‚großer Roman‘ in der zeitgenössischen italienischen Literatur. Und doch gehört die Lektüre dieser mysteriösen Geschichte eines plötzlich aus dem Leben seiner Familie und seiner Freunde verschwundenen Buchhändlers zu meinen schönsten literarischen Erfahrungen.
Anna, Frau von Edo und die erzählende Zentralfigur, erinnert sich an die Geschichte ihrer Liebe anhand von Zeilen aus Gedichten, die ihrem Mann zeit seines Lebens wichtig waren. Eugenio Montale, Anna Achmatova, Konstantinos Kavafis, T.S. Eliot, Octavio Paz oder eben Giuseppe Ungaretti werden immer wieder zitiert. „Edo sagte immer, die Poesie sei das Gedächtnis der Menschen, seines, meines, das der Welt. Wenn ich etwas vergesse, suche ich es im Gedächtnis der Poesie, öffne ein Buch aufs Geratewohl und lese“.
Über die Gedichte, über die Erinnerung an einzelne Verse und die Namen von Dichtern lebt die Liebe von Anna zu Edo auch nach seinem „Verschwinden aus dem Leben“ weiter. „Ich folge den Wolken,/ die sacht sich auflösen,/ achtsamen Auges/ und denke dabei/ an einige Freunde,/ die tot sind“ (Giuseppe Ungaretti).
Carl Wilhelm Macke
Das Gedicht ist erschienen in: Giuseppe Ungaretti: Die Heiterkeit. Italienisch-deutsch. Übersetzung: Hanno Helbling. Hanser Verlag, München 2009. 19,90 Euro.
Roberto Cotroneo: Diese Liebe. Übersetzung: Karin Krieger. Insel Verlag 2008. 158 Seiten. 7,99 Euro.Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).