Mir träumte: Traurig schaute der Mond,
Und traurig schienen die Sterne;
Es trug mich zur Stadt, wo Liebchen wohnt,
Viel hundert Meilen ferne.
Es hat mich zu ihrem Hause geführt,
Ich küßte die Steine der Treppe,
Die oft ihr kleiner Fuß berührt
Und ihres Kleides Schleppe.
Die Nacht war lang, die Nacht war kalt,
Es waren so kalt die Steine;
Es lugt‘ aus dem Fenster die blasse Gestalt,
Beleuchtet vom Mondenscheine.
Heinrich Heine
Nicht Heinrich Heine, der Autor dieses Gedichts aus dem Zyklus „Die Heimkehr“ (1823/24), steht im Mittelpunkt dieser ‚Weltlyrik‘. Und was soll man auch noch besonders hervorheben an dem lyrischen Werk eines der ganz großen Klassiker deutschsprachiger Literaturgeschichte. Wer hat mehr gelitten an deutschem Stumpfsinn, an den ‚kalten Herzen‘ in der Provinz, an den geschlossenen Fenstern der ‚Borussenhauptstadt Berlin‘. Sein ‚deutsches Wintermärchen‘ ist voll von diesen Klagen über ein Land, dessen Zustand er so erbarmungslos in seinen Gedichten offen legt, weil er es ja auch so innig liebt – geliebt hat. Aber nicht um Deutschland in den Gedichten Heinrich Heines geht es hier, zumal es in dem ausgewählten Gedicht auch überhaupt keine Rolle spielt. Ja nicht einmal dem Dichter Heinrich Heine soll eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
In diesem Frühjahr erscheint das Buch „Der traurige Prinz“, in dem sich Michael Degen an seine Begegnungen mit Oskar Werner erinnert (Rowohlt Berlin, 2015). Und von Oskar Werner, diesem begnadeten Schauspieler am Wiener Burgtheater und Hauptdarsteller zum Beispiel in dem Filmklassiker „Jules und Jim“ existiert auch eine CD, die zu den schönsten Einspielungen von Gedichtrezitationen in deutscher Sprache gehört. Vor vielen Jahren fand ich sie zufällig an einem frühen Morgen in der Wohnung einer Freundin. Legte sie in den Player – und war hin und weg von dieser Stimme, die ich damals zum ersten Mal hörte.
Oskar Werner rezitiert auf der CD Gedichte von Eduard Mörike, Antoine de Saint-Exupèry, Georg Trakl und eben auch von Heinrich Heine. Was heißt hier rezitiert – er malt mit seiner Stimme den ganzen Klangraum der einzelnen Gedichte so fein, aber niemals mit überzogenem Pathos aus, das man tief hineingezogen wird in den Wortzauber der Lyrik etwa eines Mörike oder Heines.
Michael Degen erinnert mit seinem Buch über Oskar Werner noch einmal an den schrecklichen körperlichen und psychischen Zerfall seines suchtkranken Schauspielerkollegen. Mit den auf diversen Cd’s noch vorhandenen Gedichtrezitationen von Oskar Werner ist uns seine Stimme aber noch immer präsent. Und wer sie noch nicht gehört hat, kann sich vielleicht auf jenen ‚magic moment‘ freuen, den ich erlebt habe, als ich die CD mit den von Werner gelesenen Gedichten zum ersten Mal hörte. „Die Nacht war lang, die Nacht war kalt,/ Es waren so kalt die Steine;/ Es lugt‘ aus dem Fenster die blasse Gestalt,/ Beleuchtet vom Mondenscheine“.
Carl Wilhelm Macke
Oskar Werner spricht Gedichte. Universal Music 2002.
Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).