Geschrieben am 11. September 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Jackie Kay

Jackie KaySelbst die Bäume

Selbst die Bäume draußen spüren es, die feinen Zweige ihr sechster Sinn der Gnade,

sie biegen sich in den Wind hinein und bitten um Verzeihung, die in einem Sturm kommen soll,

und treten der Versammlung des Schweigens bei; dem großen Zeugen.
Ein Mann, an einem Baum gebunden und ausgepeitscht,

arbeitete nie wieder auf den Baumwollfeldern. Im frühen Licht, dem zarten Knochenlicht,

das Herzen brach, fegte ein Lied von Feld zu Feld; das Gedächtnis einer Frau schritt Jahrhunderte ab,

tiefer und tiefer, ein blaues Lied im Klopfen ihres Herzens, in einem alten Auto, das einen Bahnübergang

überquerte; der Schrei einer Warnung –
erinnern wir uns deshalb an bestimmte Dinge und nicht an andere;

der Klang des Basses, das Zischen der Peitsche, der seltsame erstickte Wind, Blutergüsse, die durch leichte Luft schweben

wie Blätter und landen, landen hier; an dieser Stelle.
Alles, was einmal geschah, könnte noch einmal geschehen.

Übersetzt von Margitt Lehbert.

 

Von Jackie Kay, ich gestehe es offen, habe ich bislang weder etwas gelesen noch gehört. Die Mehrheit der in dem von Iain Galbraith herausgegebenen dicken Band über schottische Lyrik seit 1900 mit dem nicht sehr glücklichen Titel „Beredter Norden“ Autoren ist mir unbekannt. Ein Bekenntnis, das aber auch sogleich hinführt zu einem großen, ja hymnischen Lob auf dieses sehr gewagte und sehr geglückte Buchprojekt der Edition Rugerup. Three cheers for Iain Galbraith and Margitt Lehbert!

Der in Wiesbaden lebende Iain Galbraith arbeitet schon seit vielen Jahren als Fährmann zwischen der englischen und (wichtig!) speziell der schottischen Literatur und dem deutschsprachigen Raum ein. Dass es ihn gibt und er mit einer so großen Kompetenz und Passion dem deutschsprachigen Publikum die zeitgenössische Literatur von der Insel präsentiert, sollte eigentlich endlich einmal mehr in unserer Kulturöffentlichkeit gewürdigt werden.

Auch die leidenschaftliche und finanziell gewiss mutige Verteidigung der modernen Lyrik von Margitt Lehbert und der Edition Rugerup verdient auch über die kleine Gemeinde der Lyrikfans hinaus endlich mehr Aufmerksamkeit. Ohne sie hätte man viele heute schreibende Lyrikerinnen und Lyriker überhaupt nicht kennengelernt.

Wie zum Beispiel Jackie Kay. Geboren wurde sie 1961 in Edinburgh als Kind eines nigerianischen Vaters und einer schottischen Mutter geboren. Aufgewachsen ist sie in Glasgow und hat auch schon früh mit dem Schreiben von Gedichten, dann auch von Romanen und Theaterstücken. Dem Anhang des Bandes von Iain Galbraith ist zu entnehmen, dass Jackie Kay bereits eine stattliche Anzahl von Gedichtbänden und auch prosaischen Werken herausgegeben hat. Auch eine ganze Reihe von literarischen Preisen hat sie für Ihr Werk erhalten. Bei uns aber ist sie so gut wie unbekannt. In deutscher Sprache, so kann man den Anmerkungen von Galbraith entnehmen, liegt bislang nur ein Gedichtband vor, der in der kleinen Münchner Edition Kappa ( 2001 ) veröffentlicht worden ist.

Wunderbar ist für jedem Liebhaber der Lyrik, aus welchen Winkeln der Welt zwischen Aberdeen und Patagonien, Wladiwostok und Santo Domingo auch immer, das teilweise programmatisch gehaltene Geleitwort von Iain Galbraith. „Poesie speist sich aus dem, was ist – aus dem genauen Zuhören, aus Jahrzehnten des Schauens, aus dem aufmerksamen Lesen der Zeichen -, und auch aus dem, was nicht oder noch nicht da ist.“ Smaa dout – das ist, kann man dem Anhang des Buches entnehmen, Schottisch und heißt so viel wie „kein Zweifel“…

Carl Wilhelm Macke

Iain Galbraith  (Hrsg): Beredter Norden. Schottische Lyrik seit 1900. Mehrsprachige Ausgabe. Edition Rugerup 2011. 560 Seiten. 29,90 Euro. Foto: Quelle.

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