Geschrieben am 26. September 2012 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Jules Supervielle

Tauschen

Aus der Lache des dämmernden Tags
tranken die langen Vögel der Nacht,
nun liegen sie tot umher
beim letzten Seufzer des Mondes.

Doch sieh die Flamingos der Röte,
sie bauen ihr Nest sich im Licht,
mit der Seide der Himmelsränder
und dem goldenen Wind ihrer Flügel.

Übersetzt von Friedhelm Kemp

Quelle: Hans Magnus Enzensberger: Museum der modernen Poesie, Frankfurt am Main, 2002

Jules Supervielle (* 16. Januar 1884, Montevideo; † 17. Mai 1960, Paris) war ein „Weltbürger“ ohne dass er sich je so bezeichnet hätte. Seine baskischen Eltern waren nach Uruguay ausgewandert, um dort eine Bank zu gründen. In Montevideo geboren verlor er seine Eltern auch bereits acht Monate nach seiner Geburt. Sie starben beide während eines Aufenthalts in ihrer baskischen Heimat. Jules Supervielle wuchs in Uruguay auf, heiratete dort auch seine Frau Pilar Saavedra.

Sein ganzes Werk, zu dem nicht nur Gedichte sondern auch Theaterstücke und Prosa gehörte, widmete er dem kulturellen Austausch zwischen der spanischsprachigen und der französischen Welt. Im I. Weltkrieg wurden seine besonderen Sprachkenntnisse von der französischen Spionageabwehr genutzt. Nach dem II. Weltkrieg wurde er zum uruguayischen Kulturattachè in Paris ernannt, wo er die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte und u.a. Freund von Paul Celan war.

Gleichrangig neben Supervielle muss hier auch seines Übersetzers Friedhelm Kemp gedacht werden, der vor einem Jahr in München gestorben ist. Wer sich mit dem Übersetzen von Lyrik, vor allem aus den romanischen Sprachen beschäftigt, wird an dem Werk von Kemp nicht vorbeikommen. In seiner Dankrede für den Joseph-Breitbach-Preis im September 1998 sagte er u.a.: „Je mehr wir die Welt mit einem feinmaschigen Netz an literarischen Übersetzungen überziehen, desto gespenstischer verdämmern im Hintergrund die gewaltigen Massen des Unübersetzten und Unübersetzbaren. Darum wäre nichts dringlicher als, um der Verständigung willen, die Wahrnehmung des Fremden, des Fremdartigen, der irreduziblen Andersheit zu kräftigen.“

Oder, so sei hier bescheiden ergänzt, Lyrik aus aller Welt, grenzenlos, aus allen Epochen, uns heute bereichernd, damit wir uns nicht „in unseren Provinzen einkerkern“, wie Paul Valèry, ein Zeitgenosse von Supervielle es einmal gesagt hat.

(Das Zitat von Friedhelm Kemp wurde entnommen: „metaphorà.“ Zeitschrift für Literatur und Übertragung, Heft 5. Friedhelm Kemp zum 85. Geburtstag, München, 1999).

Carl Wilhelm Macke

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