Die Stadt
Du sagtest: „Ich gehe in ein anderes Land, ich gehe zu anderem Meer.
Es findet sich eine andere Stadt, die besser ist als diese.
Jede meiner Mühen ist zum Scheitern verurteilt; und es ist mein Herz – als sei es tot begraben.
Wie lange wird mein Geist in dieser Betrübnis bleiben.
Wohin ich mein Auge wende, wohin ich auch schaue, die düsteren Trümmer meines Lebens sehe ich hier, das ich so viele Jahre ließ zerstören und verwüsten.“
Du findest kein neues Land, findest keine anderen Meere.
Die Stadt folgt dir. Durch dieselben Straßen wirst du streifen, in denselben Vierteln altern; und in denselben Häusern wird weiß dein Haar.
Immer wirst du in dieser Stadt ankommen. Nach anderen Orten – hoffe nicht – gibt es kein Schiff für dich, es gibt keinen Weg.
Wie du dein Leben hier auf diesem kleinen Fleck verwüstet hast, so hast du es auf der ganzen Welt zerstört.
Übersetzt von Dadi Sideri
In einer der ‚Weltlyrik‘ gewidmeten Reihe kann natürlich ein Gedicht von Konstantinos Kavafis nicht fehlen. In der Zeit zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert gehörte er in Griechenland zu den ganz großen Poeten – was aber nicht so ganz stimmt. Geboren wurde Kavafis 1863 in Alexandria, Ägypten in einer aus Konstantinopel/ Istanbul stammenden Familie. Nach dem Tod des Vaters siedelte er mit seiner Familie nach Liverpool und später nach London über. 1879 kehrt er nach Alexandria zurück und geht dort auf ein griechisches Gymnasium. Nach einem Zwischenaufenthalt in Konstantinopel kam er zurück nach Alexandria, wo er als Angestellter einer Bewässerungsbehörde arbeitete.
Hier begann er regelmäßiger Gedichte zu schreiben. Bis zu seinem Tod im Jahre 1933 erschienen dann eine Reihe von Lyrik-Veröffentlichungen, die aber erst langsam auch in Griechenland bekannter wurden. Man las sie und stritt über sie wie über ein politisches Pamphlet. Seine Gedichte seien zu nüchtern und kühl in der Form gehalten. „An die Stelle des schwelgerischen Impetus eines an Gott, Natur und Nation orientierten Ideals trat eine Dichtung mit einer vielfach gebrochenen Sicht des Menschen“ (Danae Coulmas). Hier wurde mit der Tradition gebrochen und ein ganz neuer Blick auf die Gegenwart geworfen.
Konstantinos Kavafis steht so am Beginn der neueren modernen Literatur und Lyrik Griechenlands. „Das Wichtigste, was Kavafis für die griechische Lyrik geleistet hat, ist, dass er alles Überflüssige, Barocke weggelassen hat, um nur die Quintessenz zu behalten“ (Michalis Ganas). In dem Gedicht ‚Die Stadt‘ spürt man sofort, modisch gesprochen, diesen ‚Kavafis-Sound‘, mit dem Autor und Leser im Verlauf der Lektüre sofort eins werden. „Du sagtest: „Ich gehe in ein anderes Land, ich gehe zu anderem Meer….Du findest kein neues Land, findest keine anderen Meere. Die Stadt folgt dir. Durch dieselben Straßen wirst du streifen, in denselben Vierteln altern“.
Das ‚Unterwegssein ohne ein wirkliches Ankommen’ ist ein zentrales Motiv in fast allen Gedichten von Kavafis. Und wenn du an deinem Reiseziel ankommst, wirst du sehen „Wie du dein Leben hier auf diesem kleinen Fleck verwüstet hast, so hast du es auf der ganzen Welt zerstört.“
Kavafis ist ein Poet der ‚Utopie und der Entzauberung‘, also ein sehr moderner, gegenwärtiger Autor.
Carl Wilhelm Macke
Gedicht ist erschienen in: Griechische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Übersetzt von Dadi Sideri. Insel Verlag. Frankfurt am Main, 2001.
Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM
Foto: Public Domain. Quelle: Wikimedia Commons