Geschrieben am 5. März 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Kurt Marti

Kurt Marti_Der traumfünfziger syndrom

und kaum
war das kleine Land
dem grossen krieg
ohne zerstörung entkommen
begannen seine bürger
beflügelt vom fleiss
der ihnen schon immer nachgesagt wurde
friedlich und freudig
mit der zerstörung
des landes.

 

Aus aktuellem Anlass ist es mal wieder geboten, an die „andere Schweiz“ zu erinnern… In der Schweiz finde, so vernehmen wir es von den Umfrageinstituten, der chauvinistische Populist Blocher ganz besonders bei der älteren Generation Unterstützung. Es seien gerade die älteren Eidgenossen, die sich trotzig gegen eine weitere Weltöffnung der Schweiz sperren und einem Blocher ihr Vertrauen schenken. Er scheint genau jene engstirnige, letztlich intolerante Verbohrtheit eines Teiles der Schweizer zu repräsentieren, die jenseits der Schweizer Grenzen aus Vorurteilen oft Urteile machen. Wie jüngst wieder einmal staunend zur Kenntnis genommen.

In diesen Zeiten ist man besonders froh, dass es in der Schweiz auch noch Menschen und Schriftsteller wie den schreibenden Pfarrer Kurt Marti gibt. Auch er ist einer jener Alten, jetzt sogar schon Ur-Alten, denen sicherlich Vieles an den Schweizer Verhältnissen maßlos ärgert, die aber für Politiker vom Schlage Blocher unerreichbar sind.

Marti personifiziert noch jenen republikanisch gesinnten, liberalen und zur Welt hin geöffneten Schweizer, der im Ausland wie die verstorbenen Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Niklaus Meienberg oder Francois Bondy und lebende Autoren wie Peter von Matt, Iso Camartin, Peter Bichsel, Urs Widmer Zora del Buono und Fleur Jaeggy die „andere Schweiz“ repräsentiert.

Vielleicht gehört Marti nicht zu den ganz großen zeitgenössischen Schriftstellern, auch nicht in der Schweiz, aber die literarische Welt (und nicht nur die) wäre ärmer, wenn es einen wie ihn nicht geben würde. Marti steht in den besten republikanischen Traditionen eidgenössischen Selbstbewusstseins: aufrührend gegen die da oben und der Welt mit offenen Armen zugeneigt.

An diese „gute Schweiz“ ist zu erinnern, wenn jetzt mal wieder mit teutonischer Arroganz (und Ignoranz) auf „die“ engstirnige und egoistische Schweiz heruntergeschaut wird. „Das Eigenschaftswort ’schweizerisch'“, so hat Marti einmal geschrieben, „meint eine spezifische Art, mit unseren Problemen nicht fertig zu werden.“

Und wie hieße dann das Eigenschaftswort „deutsch“…?

Carl Wilhelm Macke
(kein Schweizer und weder verwandt noch verschwägert mit Schweizer)

Nachsatz zur Reihe „Weltlyrik“: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen.  Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber „Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute“ (Der polnische „Weltreporter“ Ryszard Kapuscinski).  CWM

Kurt Marti: Der Traum, geboren zu sein. Nagel & Kimche 2003. 240 Seiten. 23,50 Euro.

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