Geschrieben am 28. Mai 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Lars Gustafsson

677px-Lars_gustafssonDas Mädchen

Eines Tages steht das Leben
sanft lächelnd wie ein Mädchen
plötzlich auf der anderen Seite des Baches
und fragt
(auf seine spöttische Art)

Aber wie bist Du da gelandet.
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel

Lars Gustafsson gehört zu den Schriftstellern, die mit ihren Arbeiten kein großes Massenpublikum erreichen, aber unter den Kritikern einen großen Ruf genießen. Geboren wurde er 1936 und hat in Uppsala/ Schweden und im renommierten Oxford Literatur, Geschichte und Philosophie studiert. Neben Schwedisch spricht er auch ein exzellentes „Oxford-Englisch“ und ebenso perfekt die deutsche Sprache. Ständig bewegt er sich nicht nur zwischen diesen verschiedenen Sprachen hin und her, sondern die zugehörigen Kulturen sind ihm sehr vertraut. Vielleicht ist er dem deutschsprachigen Publikum mehr durch seine Prosawerke als durch seine Lyrik bekannt: „Herr Gustafsson persönlich“ (1972), „Wollsachen“ (1974), „Familientreffen“ (1976), „Sigismund“ (1977) und „Tod eines Bienenzüchters“ (1978).

Nur scheinbar sind die Gedichte von Gustafsson ‚leicht‘ zu lesen, weil sie in einem erzählenden Ton abgefasst sind. Eine verführerische Lakonie geht von ihnen aus. Man muss sie aber – wie jede gute Lyrik – mehrfach lesen, warten und dann wird man sich erst ihrer Tiefe bewusst. „Eines Tages steht das Leben/ sanft lächelnd wie ein Mädchen/ plötzlich auf der anderen Seite des Baches/ und fragt/ auf seine spöttische Art/ Aber wie bist Du da gelandet.“

In diesem kurzen Gedicht finden wir alles, was den ‚späten‘, also heutigen Gustafsson auszeichnet. Eine milde Abschiedsstimmung am Ende des Lebens ist hier schon deutlich spürbar, aber ohne jeden nostalgischen, gar wehmütigen Ton. Eine ganz nüchterne Feststellung, dass der Tod in nicht mehr allzu großer Ferne wartet. Er lächelt „sanft wie ein Mädchen“, das aber nicht mehr auf dieser Seite des Bachs, des Lebens steht. Mit leichtem selbstironischen Spott fragt sich der Dichter, versteckt in einem ‚sanften Mädchen‘, wie er das ‚andere Ufer‘ erreicht hat. War das Leben, wie es in einem anderen Gedicht heißt, vielleicht „nur eine Leihgabe“? Aber von wem haben wir es uns geliehen und warum ist es nie zu unserem Besitz geworden?

Da spürt man dann immer auch den Philosophen Lars Gustafsson, dessen Gedichte in einem so scheinbar leichten Erzählton daherkommen, hinter dem sich aber oft sehr existenzielle ‚schwere Lebensthemen‘ verbergen.

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Lars Gustafsson: Auszug aus Xanadu. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Hanser Verlag 2003. 103 Seiten. 14,90 Euro. Foto: Wikimedia Commons, Quelle. Autor: Suz.

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