Geschrieben am 7. November 2012 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Lucille Clifton

my dream about time

a woman unlike myself is running
down the long hall of a lifeless house
with too many windows which open on
a world she has no language for,
running and running until she reaches
at last the one and only door
which she pulls open to find each wall
is faced with clocks and as she watches
all of the clocks strike
NO

Mein Traum von der Zeit

eine Frau, die mir nicht ähnlich ist,
rennt den langen Korridor eines totenstillen Hauses entlang,
mit zu vielen Fenstern,
die sich zu einer Welt hin öffnen,
für die sie keine Sprache hat.
Sie rennt und rennt bis sie endlich
die eine und einzige Tür erreicht.
Sogleich reißt sie sie auf und da sieht sie,
dass an jeder Wand Uhren hängen,
und während sie herumblickt,
schlagen alle Uhren
NEIN

Übersetzt von Anne Moss, New York

Lucille Clifton wurde 1936 in Depew/ New York geboren und starb 2010 in Baltimore, Maryland. Die Wurzeln ihrer Familie lagen im westafrikanischen Dahomey, der heutigen Republik von Benin. Nicht nur in ihren Gedichten, auch in den vielen von ihr verfassten Kinderbüchern ist diese afroamerikanische Prägung immer präsent. „Be proud, you’re from Dahomey women!“ Diese Mahnung ihrer Mutter hat sie in ihrem Schreiben nie vergessen.

In „My dream about time“ jedoch stimmt Lucille Clifton ein anderes, sie immer beschäftigendes Thema an: die Auseinandersetzung mit der Zeit, die einzufrieren, anzuhalten niemanden gelingt. Ein hoffnungsloser Kampf, der immer und immer wieder in allen Schriftstellergenerationen aufgenommen worden ist, in allen einem Schreibenden zur Verfügung stehenden Genres. Vielleicht bietet die Lyrik noch die größten Möglichkeiten, den Ablauf der Zeit wenigstens in Worte zu fassen. Aber sie festzuhalten gelingt auch in der Lyrik nicht – NO.

Carl Wilhelm Macke

Lucille Clifton: my dream about time. Aus: The Collected Poems of Lucille Clifton. BOA Editions Ltd., 1988.

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