als mir die sprache abhanden kam
vielleicht trank ich gerade kaffee
oder schlug eine zeitung auf.
vielleicht zog ich die vorhänge zu,
oder sah auf die straße, als sie
mich verließ. ich dachte noch,
was für ein röcheln
aus der tiefe der wand,
was für ein klirren in diesem raum.
kein fensterglas sprang,
kein sessel fiel um in der küche.
an den straßenschildern erloschen
namen zu buchstabenasche.
über den häusern fuhr der
worttanker davon, massig, lautlos.
meine zunge zuckte wie ein
gestrandeter wal im trockenen mund.
ich floh aus der stadt,
zog mich hinter die grenze zurück.
kein brief kam an und antworten
blieben aus. wo ich
war, klafft eine lücke.
wo ich bin, treibt
mein schatten ins kraut.
Das Gedicht fand ich auf der Homepage der Lyrikline, die man jedem Freund der Lyrik nur ans Herz, passender gesagt, in den Speicher des Computers legen kann. Und darf man sich dazu bekennen, eine so wortsensible deutschsprachige Schriftstellerin bislang kaum zur Kenntnis genommen zu haben? In einer sehr klugen und lehrreichen Rezension stellte jüngst Karl-Markus Gauss den neuen Gedichtband „langer transit‟ von Maja Haderlap vor (SZ, 13.2014).
Die schönen Gedichte dieses Bandes künden, so Gauss, „vom Verlust den jeder, den selbst der notwendige Aufbruch bedeutet, und vom unmerklichen Fortwirken dessen, was wir für abgetan, für verloren, längst überwunden halten‟.
Die Familiensprache der 1961 in Kärnten geborenen Maja Haderlap war das Slowenische. Erst in der Schule erlernte sie die deutsche Sprache, in der sie langsam hineinwuchs. Sie studierte Theaterwissenschaften und Deutsche Philologie an der Universität Wien. Arbeitete dann als Dramaturgieassistentin in Triest und in Ljubljana. Am Stadttheater Klagenfurt war sie 1992 bis 2007 Chefdramaturgin. Für ihren Roman „Engel des Vergessens‟ erhielt sie 2011 den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Erst durch den Text von Gauss habe ich registriert, wie ignorant ich bisher gegenüber dem Schreiben von Maja Haderlap gewesen bin. „Dieses Gefühl, daß ich immer langweiliger werde, weil ich nur aus der eigenen Vergangenheit schöpfe‟ heißt es in einer Aufzeichnung von Elias Canetti. Und weiter: „Darf man existieren, ohne daß etwas dazu kommt? ‟ Wenn man sich in der Welt der Lyrik bewegt, kommt immer „etwas dazu‟ ‒ wie zum Beispiel die späte Entdeckung von Maja Haderlap.
Carl Wilhelm Macke
Maja Haderlap: langer Transit. Gedichte. Wallstein Verlag 2014. 88 Seiten. 15,90 Euro.
Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM
Foto: Wikimedia Commons, Autor: Dontworry.