Geschrieben am 15. Oktober 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Mark Strand

Mark_strand_2012Die Dinge ganz lassen

In einem Feld
bin ich das,
was es nicht ist.
Immer ist das der Fall.
Wo ich auch binbin ich das was fehlt.

Wenn ich gehe,
teil ich die Luft,
und immer
strömt sie nach,
um die Räume zu füllen,
wo mein Körper gewesen ist.

Alle haben wir Gründe,
uns zu bewegen.
Ich bewege mich,
um die Dinge ganz zu lassen.

 

Keeping Things Whole

In a field
I am the absence
of field.
This is
always the case.
Wherever I am
I am what is missing.

When I walk
I part the air
and always
the air moves in
to fill the spaces
where my body’s been.

We all have reasons
for moving.
I move
to keep things whole.
Aus dem Amerikanischen von Richard Weihe

 

Geboren wurde Mark Strand 1934 in Kanada, aufgewachsen ist er aber in den USA und in Lateinamerika. An vielen Universitäten in den USA hat der mehrsprachige Dichter Komparatistik und Englische Literaturgeschichte unterrichtet. Immer wieder hat Strand auch im nicht-englischsprachigen Ausland (Brasilien, Italien) gelebt. In deutscher Sprache liegt bislang nur ein Band vor, aus dem auch das zitierte Gedicht stammt („Dunkler Hafen“, Frankfurt am Main, 1997). In der Zeitschrift „Lettre“ (Nr. 49, JG. 2000) wurde ein längeres Interview mit Strand über Lyrik veröffentlicht, aus dem hier einige Auszüge aus den Antworten von Strand vorgestellt werden:

„Man liest keine Gedichte, um von der Wahrheit zu hören, die im Alltag als Wahrheit gilt. Man liest keine Gedichte, um den Weg zur 24. Straße zu finden. Man liest keine Gedichte, um den Sinn des Lebens zu finden. Im Gegenteil. Ich glaube, man wäre dumm, wenn man das täte. …

Nun, ich glaube, was in meinen Gedichten an gewissen Stellen passiert, ist, dass die Sprache die Führung übernimmt – und ich derjenige bin, der ihr folgt. Es klingt dann einfach richtig, und ich vertraue dem, was ich sage, auch dann, wenn ich mir nicht ganz sicher bin, was ich sage. Ich bin bereit, es dabei zu belassen.

Wenn ich mir absolut sicher wäre, wovon ich in meinen Gedichten spreche, wenn ich sicher wäre und es nachprüfen und berichtigen und es ganz genau erklären könnte, ja, genau das habe ich gesagt, weil ich es ganz bewusst sagen wollte, dann wäre das Gedicht vermutlich nicht klüger als ich. Ich glaube, das Gedicht wäre dann genau darauf reduzierbar. Es ist aber dieses ‚Darüberhinausgehen‘, diese zusätzliche Dimension, die man in einem Gedicht erreichen kann, die einen immer wieder zu ihm zurückkehren lässt. …

Gedichte sind keine Träume. Das stimmt einfach nicht. Leute, die ihre Träume niederschreiben und glauben, es handle sich schon um Gedichte, liegen falsch. Es handelt sich weder um Träume noch um Gedichte. Während du schreibst, horchst du auf etwas. Aber dann, von einem gewissen Punkt an, übernimmst du eine aktive Rolle beim Verfassen des Gedichts.

Ich werde dahin mitgerissen, wohin sich das Gedicht bewegt, solange ich nicht weiß, wohin es sich bewegt. Ich will es aber wissen, und ich will es weitertreiben, jedenfalls ein Stück weit….

Nun, manchmal sind Gedichte eben nicht einfach Darstellungen der Realität. Manchmal existiert ein Gedicht als das ganz Andere im Universum, als etwas, dem man so noch nie begegnet ist. Wenn man von einem Gedicht erwartet, dass es genau das sagt, was es meint, direkt und ohne Umschweife – und natürlich handelt es sich dabei um die persönlichen Erfahrungen eines Dichters – , nun, ein derartiges Gedicht versetzt dich lediglich in die Welt, die du bereits kennst. Es lässt die Welt ein bisschen angenehmer erscheinen, weil da jemand ist, der die gleichen Erfahrungen wie du gemacht hat. Aber die kleinen Anekdoten, die wir in derartigen Texten lesen, und von denen wir sogar glauben, dass sie wahr sind, sind in Tat und Wahrheit reine Fiktionen…

Ich denke, ein Lyriker schreibt ein Gedicht nicht mit dem Gefühl, dass er schon beim ersten oder zweiten Lesen verstanden werden muss. Er schreibt es in der Hoffnung, dass es mehr als ein- oder zweimal gelesen wird und sich seine Bedeutung mit der Zeit entschlüsseln lässt oder sich selbst entschlüsselt. Nun, beim Schreiben von Gedichten sucht man nach einer gewissen Flexibilität in der Verwendung von Sprache – eine Flexibilität, die die Erfolge der Sprache der Vergangenheit, und das heißt der einmal geschriebenen Gedichte, perpetuiert und die sicherstellt, dass das, was als neues Gedicht entsteht, diese Erfolge mehrt, und nicht etwa die Misserfolge.

Tatsache ist, dass wir viele unserer Vorstellungen, wie wir schreiben sollen, und unsere Ansichten darüber, was einen guten oder schönen Vers ausmacht, aus dem Umgang mit der Tradition der Dichtung beziehen. Mit anderen Worten: Es wäre schön zu wissen, dass die zukünftigen Dichter die besten Dichter von gestern und heute gelesen haben, damit die Kontinuität der Kunst der Poesie gewährleistet ist und sich Dichter auch in Zukunft nicht nur von Nachrichten oder Betriebsanleitungen inspirieren lassen. Wir werden immer am Besten gemessen, das in unserer Sprache geschrieben worden ist, und deshalb wollen wir auch das Beste davon weitergeben. Wenn Poesie lediglich darin besteht, eine Zeitungsseite neu zu formulieren oder jemandem im Fernsehen nachzuplappern, dann wird sie nicht überleben; das ist nicht die Sprache, die sich in die Zukunft übersetzen lässt.“ (Das ausführliche Gespräch finden Sie hier.)

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Mark Strand: Dunkler Hafen. Aus dem Amerikanischen von Michael Krüger, Rainer G. Schmidt und Richard Weihe. Suhrkamp 1997. 108 Seiten. 17,99 Euro. Foto: Wikimedia Commons, Quelle. Autor: Slowking.

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