Geschrieben am 27. August 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Miodrag Pavlović

Miodrag_PavlovicAltweibersommer

Was die einen ‚Indian Summer‘ nennen
die andern ‚Altweibersommer‘,
geschieht diesen Herbst:
es reihen sich die schönen Tage
und das gelbe Laub fällt nicht vom Zweig,
alles dauert rund und reif,
auch die Frauen altern nicht, siehst du,
die Laster sind süßer als voriges Jahr.

Das Ende dieses Sommers kennen wir aus der Geschichte:
der Überfall kommt – der barbarische Winter,
es platzen die Häuser, Ohren erfrieren
und die äußerst strenge Reinheit stößt vor.
Böswillige Köpfe hinter der Ecke warten nur
daß die Sonne untergeht um Gericht abzuhalten:
gerichtete wird alles, die Wolken, die Kinder
auch die Richter dessen Hals
in derselben Schlinge steckt wie der des Henkers,
auf der Straße werden Menschenmengen sich beißen
und Leichen von der Brücke werfen
eingewickelt in Zeitungspapier
auf daß sie Schulter an Schulter schwimmen
mit den Eisschollen, wer weiß schon wohin.

Und dann die neue Wende, Frühling!
Im warmen Regenschauer
eilt der strahlende Erzengel auf uns zu
wie ein elektrischer Bogen, zischend im Dunst
das Zeichen in der Hand: Schere oder Waage
und auf dieses Zeichen werden junge Menschen
aus den Kellern, Mädchen mit herrlichen Brüsten
und Knaben mit schlanken Fingern
(alles Nachfahren der Bluthunde und Denunzianten)
auf die Blumenwiese heraustreten und den Reigen tanzen
und schweigen von dem was war
voriges Jahr

Freut euch deshalb heute des Altweibersommers
und feiert das gelbe Blatt
das nicht vom Zweig fällt.

Aus dem Serbischen von Peter Urban.

 

Politisch korrekt ist es vielleicht nicht, ein Gedicht dem „Altweibersommer“ zu widmen. Aber ist das ein Kriterium, um den Wert von Poesie zu beurteilen? Vielleicht kann man ja auch das von Pavlović in der serbischen Sprache verwendete Wort für die Zeit des Übergangs vom Sommer in den Herbst kann nicht angemessen ins Deutsche übersetzen.

In seinem Gedicht lässt Pavlović die Schönheit der Spätsommerfarben und das Hässliche (die von den Brücken heruntergeworfenen Leichen, die schönen Frauen und die Henker fast schon schmerzhaft aufeinanderprallen. „Mädchen mit herrlichen Brüsten/und Knaben mit schlanken Fingern/(alles Nachfahren der Bluthunde und Denunzianten)/auf die Blumenwiese heraustreten und den Reigen tanzen.“

Diese Dualität von „gut“ und „böse“, von Schönheit und Hässlichkeit, von „Reigen tanzen“ und „Henkersarbeit“ durchzieht das ganze Werk des 1928 in Novi Sad geborenen und in den Augusttagen 2014 im schwäbischen Tuttlingen verstorbenen Dichters. Wie anders als in diesen Gegensätzen kann ein Schriftsteller auch schreiben, dessen Lebensgeschichte von den Zerklüftungen und Verwerfungen auf dem Balkan in den letzten Jahrzehnten geprägt worden ist?!

Wer die Urgrund der „jugoslawische Tragödie“ in den Jahren der ethnisch und nationalistisch begründeten Kriege am Ende des vergangenen Jahrhunderts sollte nicht nur in den Büchern von Historikern und Journalisten lesen. Auch die Romane und Gedichte von Miodrag Pavlović geben uns Zeichen von dem Verfall einer einst stolzen bürgerlichen Kultur in den Zentren des alten Jugoslawien durch das Entzünden primitivster Vorurteile und Denunziationen. Was für ein Bild wäre es gewesen, wenn man unmittelbar in den Jahren nach Beendigung der Kriegs in den Grenzen des ehemaligen Jugoslawien Miodrag Pavlović durch die Verleihung des Literaturnobelpreises in den Mittelpunkt der Weltaufmerksamkeit gestellt hätte! Mit dieser Anerkennung wäre nicht nur er ausgezeichnet worden, sondern auch alle diejenigen Künstler, die sich der Kriegspropaganda verweigert haben.

1991, noch am Beginn des gewalttätigen Flächenbrands, hatte Pavlović einen Aufruf in einer Belgrader Tageszeitung veröffentlicht, der realgeschichtlich kein Echo fand. Mit seiner Hellsichtigkeit und Moralität reiht er sich aber ein in die ganz großen Dokumente intellektueller Aufrichtigkeit unserer Zeit. „Der Krieg, der auf jugoslawischem Boden im Gange ist, reißt täglich junge Leben mit sich fort, er vernichtet natürliche und materielle Güter und fügt den Menschen nicht wiedergutzumachende Schäden zu…Wir glauben nicht an den Sinn dieses Krieges. Wir glauben nicht an jene, die ihn führen. Wir glauben nicht an jene, die ihn bewusst oder unbewusst unterstützen. Wir glauben nicht an Siege, die zu neuen Kriegen führen“.

In den Augusttagen 2014 ist Miodrag Pavlović im schwäbischen Tuttlingen gestorben. In den deutschen Medien fand diese Todesnachricht ein nur wenig vernehmbares Echo. Wen interessieren schon alte Dichter, die den „Altweibersommer“ besingen, auch wenn sie dieses in einer wunderbar poetischen und klugen Form tun…

Carl Wilhelm Macke

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Wenn man fast täglich im Rahmen der Koordinierung des Netzwerks „Journalisten helfen Journalisten“ (www.journalistenhelfen.org) mit Mord und Totschlag auf allen fünf Kontinenten konfrontiert wird, dann wundert man sich, warum immer wieder auch verfolgte Journalisten in aller Welt neben ihren Recherchen über korrupte und diktatorische Regime Gedichte schreiben und lesen. Gäbe es sie nicht, es würde uns etwas fehlen – etwas Großes, etwas, das uns leben und träumen, kämpfen und trauern, lieben und verzeihen lässt. Aber “Poesie ist aber auch eine große Sprachübung. Ich kann nicht auf sie verzichten. Sie verlangt tiefe sprachliche Konzentration, und das kommt der Prosa zugute” (Der polnische “Weltreporter” Ryszard Kapuscinski). CWM

Das Gedicht ist erschienen in: Miodrag Pavlović: Einzug in Cremona. Suhrkamp Verlag 2002. 177 Seiten. 22,99 Euro.

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