Geschrieben am 18. März 2015 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Odysseas Elytis

600px-Elytis,_Odysseas_(1911-1996)Die Zeit ist schneller Vogelschatten
Weit offen meine Augen in ihren Bildern

Um das tiefgrüne Glück der Blätter
Großes Erleben der Schmetterlinge

Während die Unschuld
Sich ihrer letzten Lüge entkleidet

Süßes Abenteuer süßes
Leben.

Übersetzung: Barbara Vierneisel-Schlörb und Antigone Kasolea

 

Um das schnelle Vergehen der Zeit in Worte zu fassen, gibt es im Deutschen eine ganze Reihe von alltäglichen Redewendungen. „Mein Gott, wie schnell die Zeit vergeht“ oder, beliebt bei Altherren-Geburtstagen: „Wir werden alle älter mit der Zeit“. Oder lakonisch kurz geseufzt: „Ist es schon wieder so weit?“ Oder etwas philosophisch meditierend beklagt man wie schnelllebig doch unsere Zeit geworden ist. Aber diese Alltagserfahrung läßt sich auch in die Sprache der Poesie übersetzen: „Die Zeit ist schneller Vogelschatten, weit offen meine Augen in ihren Bildern.“ Damit beginnt eines der kürzeren Gedichte aus dem lyrischen Werk griechischen Dichters und Nobelpreisträgers Odysseas Elytis (1911 – 1996). Wenn heute Griechenland immer nur im Kontext von Staatsschulden, Korruption, Vetternwirtschaft oder Bankrott gesehen und – von außen besserwisserisch – zur Solidität ermahnt wird, ist es vielleicht auch an der Zeit, an das andere, das helle, lichtüberflutete, poetische Griechenland zu erinnern. Und aus der jüngeren Geschichte des Landes eignet sich für diese Hymne an das Licht kaum ein anderer so sehr wie Odysseas Elytis, der großer Sänger des Lichts und der Liebe. „Die Engel singen. Und die Verliebten auch. Hinter jedem Streben, jedem Kummer wartet eine Gitarre, bereit, die Worte aufzunehmen und sie von Lippe zu Lippe auf die Reinzuschicken. Das ist nicht wenig. Es ist die Freude, anderen eine Freude zu machen, es ist das, was uns am Leben hält.“

Dem wunderbaren, mit Collagen von Elytis illustrierten Band „Lieder der Liebe“, sind diese (von Hans Eideneier übersetzten) Zeilen über die singenden Engel und Verliebten als Widmung vorangestellt. „Elytis“, so der in Bonn lehrende Literaturwissenschaftler Manuel Gogos, „war auf der Suche nach dem wahren Gesicht Griechenlands, das ein anderes sein sollte, als es sich die Europäer vorstellten“ (NZZ, 5. 11. 2011). Natürlich ist es naiv zu hoffen, dass deutsche Bankmanager und Brüsseler Sparkommissare auch einmal Gedichte von Elytis lesen. Die haben dafür keine Zeit – siehe oben. Aber dass es andere Werte gibt als nur und ausschließlich Kapitalwerte, könnte man von Odysseus Elytis lernen. „Ich betrachte die Lyrik als eine Quelle kämpferischer Unschuld, die ich in meinem Bewusstsein gegen eine schuldige Welt richte, um diese unter ständigen Verwandlungen so umzuformen, daß sie mit meinen Träumen im Einklang steht“. Nein, Europapolitiker aus Berlin und Banker aus Frankfurt werden Griechenland nie verstehen, weil ihre Träume – falls sie sie haben – nicht im Einklang stehen mit den Träumen von Dichtern wie Elytis.

Carl Wilhelm Macke

Medaille zu Ehren von Elytis in der Venetian Loggia, Heraklion, Kreta. Quelle: Wikimedia Commons.

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).

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