Die Tode
Hier haben wir Tote, deren Gebeinen nicht der Regen bleichen wird,
Grabsteine, auf denen niemals der stürmische Schlag der Echsenhaut erschallte,
Inschriften, die niemand abschreiten wird im Licht einer entfachten Träne;
Sand ohne Fußstapfen in allen Erinnerungen.
Es sind die Toten ohne Blumen.
Sie hinterließen uns keine Briefe, keine Ringe oder Fotos.
Keine Heldentrophäen geben Zeugnis von Ruhm oder Schande.
Ihre Leben verliefen ohne Ehren auf Erden,
doch ihr Schicksal war wie ein heftiger Blitzschlag,
denn sie kannten nicht Schlaf noch Frieden auf den
schamlosen Lagern, die für Glück sie verkauften,
denn sie huldigen nur einem Gesetz, glühender als der gierige Tropfen ätzenden Suds.
Dieser, nicht irgendeiner.
Dieser, kein anderer.
Aus dem Grund sind ihre Tode auch die verzweifelten Gesichter unseres Lebens.
Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Petra Strien
Olga Orozco, wurde als Olga Gugliota 1920 in Toay, in der Provinz La Pampa, geboren. Sie übersiedelt schon als junges Mädchen nach Buenos Aires und fand dort relativ rasch Zugang zum Journalismus wie auch zu Literaturzeitschriften. In den sechziger Jahren entfaltete sie eine ungemein produktive Aktivität als Kolumnistin, Lyrikerin, Rezensentin, Lektorin und Übersetzerin. Wie auch ihr berühmter Landsmann Jorge Luis Borges orientierte sich Olga Orozco ganz besonders an europäischen Dichtern wie Baudelaire, Rilke, Rimbaud, T.S. Eliot die sie teilweise auch in die spanische Sprache übersetzte.
In ihrem letzten Gedichtband „Mit diesem Mund in dieser Welt“ heißt es an einer Stelle: „Poesie, unser langer Kampf war ein Kampf auf den Tod mit dem Tod. / Wir haben gewonnen. Wir haben verloren, / denn wie benennen mit diesem Mund, / wie benennen in dieser Welt, mit diesem einzigen Mund in dieser Welt, / mit diesem einzigen Mund?“
In deutscher Sprache existiert von Olga Orozco ein von Juana und Tobias Burghardt übersetzter Band mit Gedichten: „Die letzten Splitter des Lichts / Las últimas astillas del reflejo“, teamart Verlag, Zürich 2001. Und eine kleine Auswahl ihrer Gedichte wurde auch von Michi Strausfeld in ihre Anthologie mit lateinamerikanischer Lyrik aus dem Jahr 2012 übernommen.
Carl Wilhelm Macke
Das Gedicht ist erschienen in: Michi Strausfeld (Hrsg.): Dunkle Tiger. Lateinamerikanische Lyrik, Ffm. 2012. Foto: Public Domain, Quelle.