Geschrieben am 4. November 2015 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Stevan Tontić

TonticMeine Platane in Berlin

Diese Platane aus der Zeit im Berliner Exil, Unter meinem Fenster, wachend, zu finden, Ein Koloss, den Fuß im Beton, und dem Ziel Sich mühend, den Boden, die Sterne zu binden.

Von Donnerschlägen um ein Haar zerspellt, Gab sie die Lektion, sich aufrecht zu halten, Viele verschwanden, in ihren Schatten gestellt, In der Krone zu Gast: selbst Rabengestalten.

Ich starre ins All, durchs All dieser Krone gereist, Stürz’ in den Schlund, mir Schlaf zu verschaffen, Wo die Angst nicht Zunge, Herz, Hoden vereist … Der Dämon des Kriegs würd’ im Schlaf erst erschlaffen.

Mit den Initialen der Liebespaare beritzt, Erweckte sie mich, am Fenster klopfend die Triebe, Enthob mich des unwiederkehrlichen Schritts, Damit ich nicht dem Ruf ins Jenseits erliege.

Granitzstraße, dort lebt’ ich, im Pankower Revier, Erinn’re Fassaden, Gesichter, des Tageslaufs Plane, Gerettet, dacht’ ich, dank guter Menschen, bei mir.
Dank allen, aber ich sag’: mein Freund, die Platane!

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks und André Schinkel

 

Es muss irgendwann im Jahr 2001 gewesen sein. Stevan Tontić hatte vom Münchner Kulturreferat ein Stipendium für einen Aufenthalt in der wunderbar gelegenen „Villa Waldberta“ am Starnberger See erhalten. Seit der Ermordung des SZ-Korrespondenten Egon Scotland in der kroatischen Kraijna hat der Verein „Journalisten helfen Journalisten“ immer eine besondere Nähe zu Autoren aus den Regionen des ehemaligen Jugoslawien. Der 1946 im bosnischen Sanski Most geborene und in serbischer Sprache schreibende Schriftsteller Stevan Tontić war einer von ihnen. Seit 1993 lebte er im Berliner Exil, getrennt von seiner Familie in Belgrad. Während seines Aufenthalts in Starnberg haben wir uns gelegentlich gesehen. Und bei einem dieser Treffen steckte mir Stevan Tontić als ein Gastgeschenk einen Gedichtband von ihm in einer deutschen Übersetzung zu. Seitdem habe ich nichts mehr von Tontić gehört. Im Frühjahr 2015 hat jetzt der kleine Kärntner „Drava-Verlag“ eine Auswahl aus seinen inzwischen zwölf Gedichtbänden herausgebracht, der auch das Gedicht „Meine Platane in Berlin“ entnommen worden ist.

Anfang 2001 veröffentlichte „Der Freitag“ ein längeres Gespräch mit Stevan Tontić, in dem er sich auch über das Schreiben im Exil und in einer anderen als der Muttersprache geäußert hat:

„Alles was ich hier in Deutschland geschrieben habe, bezieht sich auf meine Exilerfahrungen und Kriegserlebnisse in Sarajevo. Der Krieg steht derart im Zentrum meines Schreibens, dass alles schon wesentlich bestimmt ist, die Richtung und Tonalität. Ich musste das aus meinem Gedächtnis zur Sprache bringen. Es gibt in allen meinen Gedichten vielleicht einen Klang, der dieser tragischen Erfahrung gilt….Poesie, Literatur, Kunst bedeuten mir heute viel mehr als vor dem Krieg. Ich unterscheide zum Beispiel Poesie jetzt viel radikaler von Geschichte. Besonders der Geschichte, die man mit Gewalt, mit Terror und Kriegen macht. Ich habe mich für die Sprache der Poesie und Kunst entschieden, nicht für die Sprache der Geschichte. Das sind für mich jetzt absolut polarisierte Werte….Geschichte einerseits ist ein Pol, und ein anderer Pol ist Kunst. Ich habe zuviel Gewalt und Terror auf dem Feld erfahren, wo sich Geschichte ereignet. Eine Geschichte die man nur mit Gewalt, Terror, Lügen und Manipulation macht, ist etwas, was ich wirklich hasse. Ich lehne sie ab.

Das ist eine radikale Aussage, aber was kann das bedeuten?

Dass ich Geschichte ablehne, ist ein bisschen verrückt. Aber damit sage ich: nein, ich will daran nicht teilnehmen. Es gibt ein anderes Feld, wo ich mich so souverän und als Mensch vielleicht finden kann. Das ist die Welt der Kunst, der Poesie.

Stehen sich Poesie und Gewalt gleichgewichtig gegenüber oder ist die Poesie immer in der Defensive?

Man kann sie nicht trennen. Ohne diese Geschichtserfahrung könnte ich vielleicht auch nicht Poesie machen. Oder eine bestimmte Poesie. Weil sie eben eine reale Erfahrung braucht. Man kann nicht bloß aus dem Kopf dichten. Beide Welten stehen ja in Verbindung und durchdringen sich. An einem gewissen Punkt aber entscheidet man, ich finde mich eher hier und nicht dort. Oder umgekehrt: ein Politiker oder ein General fühlen sich dort auf dem Schlachtfeld der Geschichte zu Hause. Ich nicht. Was ich dort erfahren habe, als einer der ausgeliefert war, war zu brutal für mich, war zu unmenschlich und zu erschütternd. Mein Feldzug ist meine Sprache, die Sprache der Poesie, der Kunst. Ein Feldzug, bei dem ich mich als Mensch fühlen kann.“

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist entnommen aus: Stevan Tontić: Der tägliche Weltuntergang. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe Serbisch-Deutsch. Aus dem Serbischen von Sabine Fahl, Cornelia Marks, Richard Pietraß, Zvonko Plepelic, André Schinkel und Bärbel Schulte. Drava Verlag 2015. Gebunden. 178 Seiten. 17,80 Euro. Foto: Pressemappe 978-3.com.

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).

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