Geschrieben am 18. Februar 2015 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Stewart Conn

Conn, StewartSchneemann

Über Nacht kam das Tauwetter.
Alle Spuren von Schnee waren
aus den Gärten verschwunden. Und
doch sah ich, als ich hinausschaute,
einen Schneemann
mitten auf dem Rasen.
Ich dachte an Wallace Stevens’
‚nichts, das nicht da ist,
und das Nichts, das ist’
und entschied mich, es nochmals
zu versuchen – mit Brille. Und
tatsächlich, da stand er immer noch,
in voller Lebensgröße. Niemand
in der Nähe, keiner, der hinschaute.

War’s eine Kristallisierung
von Schuld und Wunsch,
diese Verbindung von üblicherweise
versteckten Elementen?
Bei genauerem Hinsehen, merke ich,
dass es ein in weiße Plastikfolie
gewickeltes Etwas ist.
Bevor ich weiter
nachforschen kann,
lädt ein Nachbar sich’s
auf die Schulter
und trägt’s ins Haus. Zurück bleibt
nur ein irritierender Kreis
im Gras, wo es gestanden hatte

Übersetzt von Johannes Beilharz

 

Viel weiß ich – bislang – nicht von Stewart Conn. Auf der Website vom „British Council“ findet man folgenden lakonischen Eintrag unter „Literature Matters“: „Stewart Conn was born in Glasgow and grew up in Ayrshire.“ Etwas ausführlicher ist da schon Iain Galbraith in seiner großartigen Anthologie mit Gedichten schottischer Dichter „Beredter Norden“, dem das Gedicht auch entnommen ist: geboren wurde Conn 1936 in Glasgow, „verbrachte seine Jugend in Kilmarnock, Ayrshire, und studierte an der Universität Glasgow. Nach dem Militärdienst arbeitete er bei BBC Scotland und war bis 1992 dort Hörspielproduzent. Seit 1977 lebt er in Edinburgh, wo er zum ersten „Poet Laureate“ der Stadt erwählt wurde… Neben mehreren Gedichtbänden schrieb er Theaterstücke und den Memoirenband „‚Distances‘.“ Und dann zählt Gailbraith eine ganze Reihe von Titeln auf, unter denen Conn in den letzten Jahrzehnten seine Gedichtbände veröffentlicht hat.

Das Gedicht „Snowman/ Schneemann“ ist in dem Band „Stolen Light“ aus dem Jahr 1999 entnommen. Zentral in dem Gedicht ist nicht einmal eine eigene Zeile, sondern die direkte Bezugnahme auf einen anderen Dichter. „I thougt of Wallace Stevens’/ nothing that is not there/ and the nothing that is“. Den Schneemann, den Conn hier das Gedicht gewidmet hat, gibt es nach einem nächtlichen Tauwetter gar nicht mehr. „Alle Spuren von Schnee waren/ aus den Gärten verschwunden.“ Und doch sieht ihn der Lyriker Conn noch während er aus dem Fenster schaut. Er setzt die Brille auf, um genauer sehen zu können und sieht den Schneemann tatsächlich noch. Keine Frage, es ist ein Schneemann. Er schaut noch einmal genauer hin – und dann erlebt er die Entzauberung. Es handelt sich um ein „in weiße Plastikfolie gewickeltes Etwas“, das der Nachbar sich auf die Schulter lädt und ins Haus trägt.

Hier findet man die ganze Faszination eines gelungenen Gedichts, die Utopie und die Verzauberung einer veränderten Welt. Der „Schneemann“ als das Symbol einer durch den Schnee scheinbar veränderten Welt, als eine Erinnerung an die Phantasie der Kindheit und dann die oft schmerzhafte Ernüchterung, dass es sich um ein in eine Plastikfolie gewickeltes „Etwas“ handelt, das sich der Nachbar einfach schnappt und ins Haus trägt. „Nothing that is not there/ and the nothing that is.“

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist erschienen in: Beredter Norden. Schottische Lyrik seit 1900. Herausgegeben von Ian Galbraith. Übersetzung von Johannes Beilharz. Edition Rugerup, Berlin, Hörby, 2011. Foto: Homepage des Autors

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).

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