Immer bleibt das Andere
Es ist gut, von Leben zu Leben zu wandern.
Die Luft wird stickig, das Gedränge unerträglich.
Die Alten meinen, mit ihnen höre alles auf, die Jungen, alles beginne mit ihnen.
Du öffnest die Tür und gehst, hast keinem was getan.
Hast eine Spur hinterlassen, keine einen Fingerabdruck, keinen, vielleicht den Duft der vergangenen Jahre (denn die Liebe verliert ihren Duft nicht), keinen,
auch gut. Man wird dich zitieren, von dir sprechen mit Achtung und Angst, dich vorführen als Inbegriff von Dummheit und schlechtem Geschmack, auch gut. Jede Einbahnstraße ist irgendwo zu Ende.
Die Dinge sind schlecht, wenn sie dich nicht zu sich bringen, wie diese Spätnachmittagssonne, wie die verlorene Wärme, wie der aus der Luft gerissene Wind, der das Laub von beiden Seiten verfärbt. Der Wörter wirst du überdrüssig und bringst sie zu Ende. Die Stille, die sie trennt, ist auch irgendwo zu Ende.
Es bleiben zwei Achsen, die sich auf dem Glas küssen, und die unbestimmte Vorstellung von den Boxes Joseph Cornells.
Lebenszeit, auf der Straße aufgelesen und der Phantasie überlassen
zum Gebrauch. Es bleibt das Andere. Ein Paradies, das nicht ausschließlich still ist. Eine Hölle, die nicht nur statisch ist und gefährlich. Es bleibt das Andere. Schriftsteller sein ist äußerst langweilig; man verwendet seine Hände immer nur zum Tippen.
Aus dem Slowenischen von Fabjan Hafner
Das erste im Jahr 2015 gelesene Gedicht stammt von dem slowenischen Lyriker Uroš Zupan. Bis zur Veröffentlichung einer Auswahl seiner Gedichte im Rahmen der „Edition des Lyrik-Kabinetts“ (München, 2008) war mir der Name Zupan vollkommen unbekannt. Gäbe es nicht das ‚Lyrik-Kabinett‘ oder einzelne ebenso aufmerksame wie kompetente Beobachter der ost-mitteleuropäischen Literaturszene wie etwa Karl Markus Gauß, dann bliebe dieser ganze Raum für uns eine ‚Terra Incognita‘.
Dem Nachwort seines Übersetzers Fabjan Hafner kann man einige Grunddaten zu Leben und Werk von Zupan entnehmen. Geboren wurde er 1963 in der slowenischen Metallmetropole Trbovlje, also weit weit entfernt von den großen europäischen Kulturzentren wie Wien, Berlin, Paris, sogar von Ljubljana. Er sei, so Hafner, eine „zentripetale Randerscheinung“. Heute lebt Zupan irgendwo am „Nordrand der neuen Metropole Ljubljana, fast schon auf dem Land“. Die politischen Tagesereignisse in seinem Land, in Europa, in der Welt würden ihn wenig interessieren. „Zupan ist auch keine Reisender, kein Literaturtourist… nicht ständig auf Achse, auf der Jagd nach neuen Eindrücken. Er bleibt, als Nur-Schriftsteller und Hausmann im Lande und nährt sich redlich.“
Und er schreibt, so möchte man ergänzen ganz wunderbare Gedichte, die irgendwo am Rande der Geschichte, der großen wie der kleinen angesiedelt sind. Typisch für diese staunende, aber immer gelassen bleibende Lyrik des Uroš Zupan ist das Gedicht „Immer bleibt das Andere“. Da wechseln sich fast schon banal erscheinende Lebensweisheiten („Die Alten meinen, mit ihnen höre alles auf, die Jungen, alles beginne mit ihnen“) mit wunderbar poetischen Versen („Es ist gut von Leben zu Leben zu wandern“) ab. Mit zwei, drei Zeilen schafft es Zupan ohne jedes Pathos, jede Allerweltsweisheit eine Lebensbilanz in Worte zu übersetzen („Du öffnest die Tür und gehst, hast keinem was getan. /Hast eine Spur hinterlassen, keine einen Fingerabdruck,/ keinen, vielleicht den Duft der vergangenen Jahre/(denn die Liebe verliert ihren Duft Versen nicht), keinen, / auch gut. Man wird dich zitieren, von dir sprechen mit Achtung und Angst, dich vorführen als Inbegriff /von Dummheit und schlechtem Geschmack, auch gut./ Jede Einbahnstraße ist irgendwo zu Ende“.) Und was du auch machst oder dir erträumst vom Leben, von deiner Arbeit, von deinem Schreiben… „Immer bleibt das Andere“. Was wir uns auch wünschen für das soeben begonnene neue Jahr, ‚immer bleibt das Andere‘. Und was es sein wird, wissen wir nicht. „Reiche vergehen, ein guter Vers bleibt und sagt, was – bevorsteht“ hat Ernst Bloch einmal geschrieben. Vielleicht vergehen in diesem Jahr Reiche und was dann kommt, können wir nur erahnen. Vielleicht ‚das Andere‘…
Carl Wilhelm Macke
Gedicht ist erschienen in Uroš Zupan: Immer bleibt das Andere. Aus dem Slowenischen von Fabjan Hafner. Hanser-Verlag, München 2008.
Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).