Journalistische Arbeit hat auch etwas mit Berufsehre zu tun, die man aber nicht durch die Lektüre eines ‚Medienkodex’ erwirbt. Auch daran könnte man ja heute hin und wieder in der journalistischen Ausbildung erinnern.
Eigentlich kann man dagegen nichts einwenden. Da hat ein Kreis sehr erfahrener und seriöser Journalisten einen Kodex erstellt, an dem man sich als Journalist bei seiner Arbeit halten soll. In dem „Netzwerk Recherche“ sind vornehmlich investigative Journalisten aus verschiedenen Medien organisiert, die sich regelmäßig, oft auch vorbildlich selbstkritisch, über ihre Arbeit austauschen. Ihr Urteil in Medienfragen hat Gewicht, auch wenn insbesondere die Manager der großen Medienkonzerne nicht gerade zu ihren Freunden gehören. Mit dem in diesen Tagen vorgestellten zehn Punkte umfassenden ‚Medienkodex’ will aber ausschließlich den journalistischen Kollegen eine Orientierung für ihre Arbeit geben. Journalisten sollen, so kann man in diesem Kodex lesen, „unabhängig, sorgfältig, umfassend und wahrhaftig“ berichten. Die Achtung der ‚Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte’ wird erwartet. „Sicherheit steht vor Schnelligkeit“. Informanten sollen „uneingeschränkt“ geschützt werden. Man erwartet „handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur Verfügung stehenden Quellen“. Jegliche „Vorteilsnahme und Vergünstigung“ wird strikt abgelehnt. Fakten und Meinungen sollen deutlich voneinander unterschieden werden. PR zu machen gehört nicht zu den Aufgaben eines seriös arbeitenden Journalisten. So weit, so gut und wo ist das Problem? Dazu ein kleiner Ausflug in Zeit und Raum: Italien 1945. In der Zeitschrift „Il Risorgimento liberale“ erscheint ein Beitrag von dem liberalen Ökonomen und Publizisten Luigi Einaudi über das Selbstbild der Journalisten in einer demokratischen, nicht mehr faschistischen Gesellschaft. Einaudi wurde drei Jahre später zum Staatspräsidenten seines Landes gewählt und gilt bis heute als ‚der’ Repräsentant eines republikanischen und demokratischen Italien. In dem Italien unmittelbar nach Kriegs- und Faschismusende wurde viel darüber gestritten, wie eine freie, nicht mehr diktatorisch regierte demokratische Gesellschaft der Zukunft auszusehen hat. Es gab Stimmen, die den Journalismus durch Gebote und Gesetze definieren wollten. An dieser Diskussion beteiligte sich Einaudi und nahm deutlich Partei für einen nicht durch Tugendkataloge und Vorschriften gegängelten Journalismus. Er stellte dabei Schriftsteller und Journalisten auf eine Ebene. Da sei es doch grotesk, sich einen Benimm- und Arbeitskodex für diese beiden ehrenwerten Verteidiger der Presse- und Meinungsfreiheit vorzustellen. Mit einer für einen Bürger wie Einaudi unerwarteten Offenheit, bezeichnete er diese Versuche drastisch als ein „Instrument der Versklavung“. Ähnlich haben es dann später auch andere legendäre italienische Journalisten gesehen. Indro Montanelli, der konservativen Starjournalist des ‚Corriere della Sera’ wäre ebenso beleidigt gewesen wie der linke Luigi Pintor von der kommunistischen Tageszeitung ‚il manifesto’, hätte man ihnen einen ‚Medienkodex’ präsentiert wie er heute nicht nur vom ‚Netzwerk Recherche’, sondern auch von anderen einschlägigen Verbänden in Deutschland vorgeschlagen wird. Sie hätten die Anforderungen an die Seriösität, Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit einfach als selbstverständlich für jeden vorausgesetzt, der sein Geld damit verdient, die politische Kultur eines demokratischen Landes zu formen. Diese professionelle Selbstverständlichkeit kann aber offensichtlich heute nicht mehr von jedem Journalisten erwartet werden. Vielleicht ist deshalb auch ein ‚Medienkodex’ sinnvoll und notwendig, wie ihn jetzt das ‚Netzwerk Recherche’ vorgestellt hat. Ob die Verkommenheit und Korruptionswucherungen des Mediengewerbes dadurch gemildert werden, kann man nur hoffen. Journalistische Arbeit hat auch etwas mit Berufsehre zu tun, die man aber nicht durch die Lektüre eines ‚Medienkodex’ erwirbt. Auch daran könnte man ja heute hin und wieder in der journalistischen Ausbildung erinnern.
Carl Wilhelm Macke