Geschrieben am 11. Juni 2007 von für Litmag, Porträts / Interviews

Michael Hamburger ist tot

In der „eigenen Zeit sterben“

Zum Tod des Lyrikers und Übersetzer Michael Hamburger. Lesen Sie Auszüge aus einem bisher unpublizierten Gespräch des Dichters mit Carl Wilhelm Macke.

In einem 1961 geschriebenen Gedicht erinnert sich Michael Hamburger an seine vermutlich in einem Konzentrationslager gestorbene Großmutter. „They finished her off who was old and ill enough/ to die before long in her own good time…“ Bei Menschen der Generation von Michael Hamburger, die tief geprägt ist von dem Zivilisationsbruch der Nazi-Jahre, kommt einem bei der Todesnachricht immer auch ein flüchtiger Dank in den Sinn: Gott sei Dank, haben sie die ‚Galgenzeit‘ (Rose Ausländer) überlebt und hatten dann doch viele Jahrzehnte Zeit und Geduld, ihre literarischen Ziele zu verwirklichen. Michael Hamburger, geboren 1924 in Berlin und schon in den früher dreißiger Jahren von den Nazis zur Emigration nach England gezwungen, war ein großer Lyriker, dessen Werk sowohl vom Münchner Hanser-Verlag als auch vom ‚Folio-Verlag’ in Wien betreut wird. In dem um viele Jahre jüngeren Peter Waterhouse hat er einen kongenialen Übersetzer gefunden, mit dem zusammen er an vorbildlichen Übertragungen seiner Gedichte in die deutsche Sprache gearbeitet hat. Zuletzt erschien bei ‚Folio’ , herausgegeben von Iain Galbraith, ein Band mit Selbstauskünften, Rückblicken und Prosa unter dem Titel „Pro Domo“. Bekannt war Hamburger aber auch als Übersetzer deutschsprachiger Lyrik in die englische Sprache. Herausragend hier seine Übertragungen Hölderins in die Sprache Shakespeares, T.S. Eliots und Dylan Thomas.

Anfang der neunziger Jahre hatte ich die Gelegenheit, mit Hamburger ein längeres Gespräch über sein „Leben zwischen zwei Sprachen“ zu führen, aus dem die folgenden Auszüge stammen. Das Gespräch wurde bislang noch nicht publiziert:

Frage: Hölderlin, immer wieder Hölderlin. Sie haben sich Zeit ihres gesamten Lebens mit Hölderlin beschäftigt. Die ersten Arbeiten über ihn haben Sie bereits mit 15 Jahren geschrieben. Später dann haben Sie das gesamte lyrische Werk von Hölderlin ins Englische übersetzt. Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem Werk Hölderlins erinnern?

Hamburger: An meine erste Begegnung mit Gedichten Hölderlins, als Schüler in der Westminister School, habe ich keine deutlichen Erinnerungen. Vermutlich las ich aber ein gedicht Hölderlins zum ersten Mal im Rahmen einer Anthologie. Einige deutsche Gedichte – darunter von Goethe und Rilke – hatte ich schon übersetzt. Was mich an Hölderlin bei den ersten Begegnungen so sehr faszinierte, daß ich mich ein halbes Jahrhundert lang immer wieder mit ihm beschäftigte, kann ich nur aus späterer Einsicht erklären. Am Anfang war es wohl vor allem eine gefühlsmäßige Identifikation. Unter anderem hat nämlich Hölderlin durch seine Besessenheit vom alten Griechenland eine tragische Lyrik geschaffen – etwas ganz anderes als die nur traurige oder unglückliche – indem er Erkenntnisse über das griechische Trauerspiel und das Tragische überhaupt auf die Struktur seiner oden und Elegien übertrug. Das habe ich als Jugendlicher bestimmt nicht verstanden, aber empfunden. Sobald mein erstes Hölderlinbuch erschienen war – ich war 19 Jahre alt und diente schon als Soldat – wußte ich jedoch, dass meine Übersetzerarbeit damit nur begonnen hatte. Ich bin von Hölderlin nie losgekommen, obwohl ich, auch als Übersetzer, dann sehr viele andere Interessen hatte. Ich kehrte aber immer wieder zu Hölderlin zurück. Ein Grund dafür war die schon erwähnte Schwierigkeit des Übersetzens, welche unter meinen anderen Projekten höchstens im Falle Paul Celans übertroffen wurde. Ein anderer war, daß ich Hölderlin in jeder lebensphase neu entdeckte, da er innerhalb eines Jahrzehntes sich selber so drastisch gewandelt hatte. Viele Entwicklungen der späteren Lyrik wurden in seinem anscheinend schmalen Werk vorweggenommen.

Gab es verschiedene Phase Ihrer Beschäftigung mit Hölderlin? Lasen Sie zum Beispiel während des Krieges gegen die Nazis, die ja Teile des Werkes von Hölderlin auch schätzten, anders als etwa heute?

Mein erstes, 1943 erschienenes Hölderlin-Buch wurde von der Kritik trotz des Krieges sehr freundlich aufgenommen. Die britische Zivilisation zeichnete sich nämlich in dieser zeit dadurch aus, daß sie sich gegen die totalitäre Politisierung wehrte. Daher kam es, daß ich als Soldat den Befehl erhielt, aus meinem Hölderlin-Buch in London zum 100. Todestag des Dichters zu lesen. Ich sollte auf diese Weise das Regiment repräsentieren. Das war damals für mich ein Beweis, daß die Teilnahme an diesem Krieg auf britischer Seite notwendig und berechtigt war.

Liest man Ihre autobiographischen Schriften fällt auf, wie wenig Sie Ihre jüdische Herkunft thematisieren. Ist diese Tradition – außer natürlich in der Zeit unmittelbar vor und während der Emigration – für Sie von eher sekundärer Bedeutung?

In meinem Memoirenbuch („Verlorener Einsatz“, 1988 ) nahm ich auch auf, was ich über die jüdische Vorgeschichte meiner Familie entweder durch das Erlebnis oder durch spätere Forschungen erfahren konnte. Ich sage Vorgeschichte, weil unser Judentum nur noch aus der Abstammung bestand, die dann jedoch in der Nazi-Zeit entscheidend wurde. Abgesehen von dieser fatalen Entwicklung, war aber ein Judentum ohne die Religion, die Bräuche und irgend etwas das als ‚Kultur’ erkennbar gewesen wäre, im Rahmen dieses Buches für mich kaum ein Thema. In meinen Gedichten ist es anders, weil es in diesen um anderes als das Greifbare einer Lebensgeschichte geht. In erwähne zum Beispiel in den Memoiren, daß in unserer Familie kein religiöses Fest außer Weihnachten gefeiert wurde. Das sagt schon alles über den Grad der Assimilation, in die ich hineingeboren wurde. Dazu kommt der ausschließlich christliche Religionsunterricht in späterer Zeit und die Bekehrung der Mutter zum Quäkertum. Insofern man sich zu einer Abstammung, anders als zu seinem Glauben, bekennen kann, habe ich das immer getan. Ganz eindeutig immer dann, wenn ich mit Antisemitismus konfrontiert war.“

Am 7. Juni ist Michael Hamburger in seinem geliebten Haus in Suffolk gestorben.
„In his own good time“.

Carl Wilhelm Macke