Geschrieben am 4. Februar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (91): Meret Oppenheim

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Pelzhandschuhe” von Meret Oppenheim.

Oppenheim_Pelzhandschuhe

Manikürte Bärentatze

Das überfein Gelackte und das Tier in uns – die ganze Bandbreite menschlicher Existenz zwischen ihren Extremen in ein Bild zu fassen, ein schlagend eindeutiges, das keine Diskussion braucht mit Pro und Contra, vor dem sich jedes ausdeutende Wort nur schrecklich blamieren kann: die manikürten Bärentatzen. Geglückt – oder geschehen? – sind sie einer blutjungen Frau vor bald achtzig Jahren.

Aufgewachsen zwischen Deutschland und der Schweiz, in einem bürgerlich- intellektuellen Haushalt (der Vater Arzt), reißt die Achtzehnjährige nach Paris aus, dem Welt-Zentrum der Kunst damals noch, mit dem Ziel natürlich, „Malerin zu werden“. Ausgestattet mit dem unbesieglichen Elan von Jugend, talentiert und hübsch, öffnen sich ihr dort die Türen rasch. Alles, was Rang und Namen hat, Giacometti, Arp und Picasso, Man Ray und Max Ernst – tout Paris lässt sich bezaubern von der vitalen Rebellin. Im Nu findet sich das frische, freche Bürgertöchterchen im Herzen der künstlerischen Avantgarde dieser Zeit wieder. Ihr Einfallsreichtum fasziniert die Künstler, die später alle einmal Kunstgeschichte schreiben sollen, nicht zuletzt auch ihre erotische Ausstrahlung. Das frivole Küken nimmt teil an ihren Gruppenausstellungen, wird die Geliebte eines von ihnen, gibt in den Pariser Kreisen dieser Jahre die „femme surréaliste“.

Das ist der Humus, aus dem in ganz kurzer Zeit ein künstlerischer Höhenflug hervorbricht, mit dem sie sich für ein ganzes Leben und darüber hinaus ihren Namen macht: Meret Oppenheim. Die Handvoll Werke sind von selten gesehenen Originalität. Sie zeigen etwas auf, mit einer Evidenz, die alle sprachlos macht. Die Unverbrauchtheit eines jungen Blicks, die Kühnheit, auch Respektlosigkeit, über Grenzen zu gehen, sie gar nicht wahrzunehmen – das zeichnet die Hervorbringungen diese Künstlerin aus (von „Werken“ mag ich da kaum sprechen). Wie die Mathematiker die genialen und bahnbrechenden Entdeckungen in den frühen Zwanzigern ihres Lebens machen, so werden auch Meret Oppenheim in drei, vier Jahren ihre epochalen Bilderfindungen geschenkt. Aus sich selbst und aus dem Geist einer Gruppe, dem inspirierenden Umgang mit Gleichgesinnten. Eine Idee, die zu so etwas wie den „Pelzhandschuhen“ führt, wird kaum in einem stillen Kämmerlein gezündet.

Zwei menschliche Hände, Frauenhände, mit rot lackierten Fingernägeln, und zwei Bärentatzen in einem. Ein Bild, ein Zeichen zwingt die Gegensätze zusammen und löst bei dem Betrachter einen Schock aus, der sich in einem hilflosen Lachen entlädt. Dieser Schock hat sich sicher abgeschwächt über die Woche, da ich die Kunstpostkarte jetzt vor Augen hatte. Verbraucht hat er sich nicht. Schau, so sind wir, ob wir es wollen oder nicht: Lackaffen und Tiere. Von hochgetriebener Zivilisiertheit und von einer atavistischen Primitivität, der wir selbst nicht gewachsen sind, die jederzeit über uns kommen kann, ohne dass wir wissen wie, warum, wozu.

1936 wird Meret Oppenheims Schicksalsjahr. Da gelingt ihr neben den „Pelzhandschuhen“ auch noch das „Frühstück im Pelz“, jene mit Pelz bezogene Teetasse samt Untertasse und Löffel, ein Hauptwerk des Surrealismus. Gerade zwei Wochen ist die „Pelztasse“ in einer Pariser Galerie ausgestellt, da entdeckt sie der Direktor des New Yorker Museum of Modern Art auf seiner Einkaufstour durch Europa und schlägt sofort zu, für 200 Francs. Eine Sensation auf dem Kunstmarkt! Sie macht die „Pelztassen-Meret“ zu einer mondänen Berühmtheit dieser Zeit. Mit ihren beiden pelzigen Objekten steht sie bis heute in den Annalen der Kunstgeschichte.

Doch der Preis ist hoch. Höher als 200 Francs. Die Blitze der Genialität, die die „femme surréaliste“ innerhalb kürzester Zeit in sich hat abbrennen lassen, haben die Person und die Künstlerin ausgeglüht. Sie ist am Ende. Seelisch zerrüttet, flieht sie 1937 Paris, kehrt zurück in die Schweiz, ins elterliche Haus, muss den Rat eines Psychologen suchen.

Es hat Jahrzehnte gedauert, bis Meret Oppenheim sich von den Pariser Kometenjahren erholt hat und, wieder gesundet, zur Malerei zurückgekehrt ist. Geblieben aber sind von ihr die unbändigen Pariser Jugendstreiche.

Michael Zeller

Meret Oppenheim: Pelzhandschuhe. 1936.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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