1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Gartenlaube” von Aleksander Gierymski.
Nächtige Feier des Lichts
Lichtdurchflutet und dunkel zugleich – das muss ein Maler erst mal schaffen! Eine Gartenlaube von innen. Wie eine Wand hält das hölzerne Gitter das gleißend helle Licht eines Sommertages außen vor. Seine Latten sind so dicht gesetzt, und die Büsche überwuchern sie mit ihren weißen und gelben Blüten und den Blättern, dass es im Innenraum der Laube ausgesprochen schattig ist. Wie heftig die Sonne draußen im Garten wütet, kann man lediglich an dem schmalen Streifen des Rostes sehen, über der Erde, der nicht bewachsen ist. Aber auch diesen Durchlass macht der Maler eng, indem er eine Sitzbank vor die Lücke schiebt. Immerhin reicht sie aus, den Tisch hell auszuleuchten. Seine grob behauene Steinplatte liegt ausgebleicht im Flimmern der Hitze, allerdings nur ihre vordere Kante. Der hintere Teil sinkt schon wieder in Schatten ein.
Ein delikates Spiel treibt der Maler mit dem Betrachter, wie er das grellste Licht des Sommers filtert und über verschiedene Stufen bis in ein tiefes Dunkel hinüber leitet. Den Endpunkt dieser Skala setzt er mit dem Zylinder, der herren- und funktionslos auf dem Tisch liegt. Dieser schwarze Fleck, fast im Mittelpunkt des Bildes, saugt den Blick an – ein kräftigeres Dementi dieses lichtflirrenden Sommertags draußen lässt sich schwerlich denken.
Ich konnte mir nicht helfen: dieses Aussperren und Herausdrängen des Lichtes berührte mich unter der Woche, die ich mit dem Bild zusammen war, als etwas Verstörendes, vielleicht sogar Zwanghaftes, so sehr ich seine ungeheure malerische Feinheit bewunderte. Jetzt, nachdem die Karte von der Wand genommen vor mir liegt, nehme ich den Zylinder (wortwörtlich) unter die Lupe. Seine stoffliche Materialität, die seidene Glätte ist derart aufgeraut, dass er eher wie die derbe Keramik eines Blumentopfes wirkt als ein eleganter Herrenhut. Ich würde mich kaum trauen, von einem Zylinder zu reden, wenn er nicht im Titel verbürgt wäre. Wenigstens in einem Titel von zweien.
„Studie mit Zylinder“ heißt das kleinformatige Gemälde (58 x 41 cm), aber auch „Gartenlaube, Studie II“, geschaffen von dem polnischen Malers Aleksander Gierymski. Diese Unklarheit der Benennung lässt die komplizierte Geschichte seiner Entstehung erahnen.
Fast in den gesamten 1870er Jahren lebte Gierymski als junger Mann in Rom und hat sich in dieser entscheidenden Entwicklungsphase seines Malens mit der italienischen Renaissance beschäftigt. An deren Einheit von Farbe und Licht hat er seinen Stil geprägt, und das sollte sein gesamtes Schaffen bestimmen. In dieser Zeit entstand die erste Version einer Gartenlaube, aber das hohe Vorbild, das er sich gesetzt hatte, erdrückte ihn. Das Bild genügte seinen Ansprüchen nicht. Er zerstörte es. 1880 zog der Maler aus Rom fort und ließ sich für acht Jahre in Warschau nieder. Aus den Skizzen, die er aus Italien mitbrachte, schaffte er dort dieses Bild mit Zylinder, als eine weitere Studie für ein großes Gemälde, „Die Gartenlaube“, von 1882.
Merkwürdigerweise hatte dieses ausgeführte Bild mit unserer Studie hier nur sehr wenig zu tun. Eine große Gartengesellschaft (in historischen Kostümen) wird darauf gezeigt, und die Laube, die wir hier von innen sehen, spielt dort mit ihrer Außenwand im Hintergrund nur eine äußerst bescheidene Rolle. Das fertige Bild ist ein Stück Salonmalerei und hat nicht entfernt die malerische Delikatesse der Vorstudie.
Das Motiv der Gartenlaube hat Gierymski in immer neuen Anläufen gemalt. Licht im Dunkel zu fassen: das war sein Mal-Impuls. Es gibt eine große Anzahl Nacht-Bilder von ihm, Plätze und Gebäude in der Schwärze der Nacht, von ein paar wenigen Straßenlaternen spärlich beleuchtet. Man muss sich das vorstellen: Zur gleichen Zeit, als in Paris von Malern der Impressionismus entdeckt wird und ihre Bilder in der Lichtflut von Meeresstränden ertrinken, schlägt sich der polnische Maler mit dem entsprechenden malerischen Ausdruck von Helligkeit herum, allerdings an einem anderen Ort und aus anderen Quellen gespeist. Ihn fasziniert nicht die Sonne, die Schöpferin des Lichtes, ihn fasziniert das Gegenteil, die Nacht: Lichtsplitter vor der Finsternis.
Zwar hat der polyglotte Pole die impressionistische Malweise seiner französischen Kollegen persönlich noch kennen gelernt, als er ab 1890 für drei Jahre in Paris lebte, aber da war es zu spät für eine Änderung. Er hatte seinen Stil, den er für sich auf eigene Faust aus der Tradition entwickelt hatte, längst gefunden. Und so malte er auch in Frankreich keineswegs Meeres-Bilder à la Monet oder Sisley. Er malte den Louvre bei Nacht (1892), im Lichtschein von Gaslaternen.
Kein Wunder, dass es Aleksander Gierymski nicht lange in Paris hielt. Er kehrte zurück nach Rom, an den Ursprungsort seines Malens. Dort ist auch gestorben, gerade einundfünfzig Jahre alt geworden, im Wahnsinn – oder, passender gesagt, in geistiger Um-Nachtung. Leider kennt und verehrt man diesen bemerkenswerten Maler aus der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts nur in Polen. Die Traditionswege Europas verlaufen sich westwärts.
Michael Zeller
Aleksander Gierymski: Gartenlaube. (Studie II, Studie mit Zylinder). Öl auf Leinwand. 58 x 41 cm. Um 1880/82. Nationalmuseum Warschau.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung „BruderTod” erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.