Geschrieben am 15. November 2006 von für Litmag

Nachruf auf die Briefkultur

Nachruf auf die Briefkultur

Früher war alles anders. Zum Beispiel in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Da lebten in Ferrara in der Via Boccacanale der Dottore Cesare Bassani und in der Via Buonporto der Avvocato Carlo Lamproni.

Die beiden Gassen befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft inmitten der ferrareser Altstadt. Wenn nun der Arzt und der Anwalt miteinander in Kontakt treten wollten, konnten sie sich in nicht weniger als zwei Minuten besuchen. Oder man traf sich in einem Cafè an der nahegelegenen Piazza Verdi. Nun reichte das den bürgerlichen Herren aber nicht, um sich über großen und kleinen Ereignisse in ihrem Leben auf dem Laufenden zu halten. Also tauschte man auch noch Briefe aus. Man schrieb sie natürlich mit einem Füllfederhalter aus einer mailänder Traditionsfirma. Und man wählte dafür bestes, leicht bräunlich schimmerndes Briefpapier aus der „Cartoleria di Firenze“, steckte das beschriebene Papier in einen farblich passenden Briefumschlag und ließ den Brief dann von einem Boten in einer schmuckvollen kleinen Kassette an den Freund überbringen. Dem offiziellen Postweg vertrauten die beiden Herren offenbar nicht. Um eine Antwort zu formulieren, nahm man sich Zeit. Inzwischen konnte man sich zwar auch noch auf der Piazza Verdi treffen, aber das Gespräch ersetzte nicht den einsam geschriebenen Brief – das langsame Formulieren an Sätzen, das Finden eine zum Briefpartner passenden Ansprache und dann das den Brief beendende Crescendo höflicher Floskeln…„La Ringrazio per la cortese attenzione e distantamente La saluto“ (Ich danke Ihnen für die geschätzte Aufmerksamkeit und grüße Sie mit vorzüglicher Hochachtung).

Eine Gentleman schreibt Briefe

So war sie einmal, die Welt von gestern als man sich noch die Zeit zum Schreiben langer Briefe nahm, der Stefan Zweig 1924, lange vor unseren heutigen Untergangsklagen, einen wehmutsvollen Nachruf gewidmet hat: „Eine edle und kostbare Kunst scheint ihrem Ende entgegenzugehen: die Kunst des Briefes…..Man gab mit dem Brief einem Freunde, einem Fremden, was man vom Tage empfing, ein Geschehnis, ein Buch, ein Gefühl, gab es weiter mit leichter Hand, ohne die Prätension eines Geschenks, ohne die gefährliche Anspannung für ein Kunstwerk verantwortlich zu sein. Diese Kunst des Briefeschreibens scheinen wir verlernt zu haben.“

Der Anfang dieser Kultur des Briefeschreibens, der Stefan Zweig nachtrauerte und bis heute so viele andere, geht zurück bis in das zweite Jahrtausend vor Christus. Die Pharaonen schrieben sich Briefe aus Papyrus und Tontafeln. Das Alte und das Neue Testament sind randvoll mit Briefen oder Zitaten aus Briefen. Man schrieb wie verrückt in der Antike. Im Mittelalter schoben sich Mönche und Bischöfe, Kaiser und Gelehrte unentwegt Briefe zu. Mystiker berichteten anderen Mystikern von ihren metaphysischen Erfahrungen. Petrarca war ein großer Briefeschreiber. In der Zeit des Humanismus und der Reformation setzten die ersten umfangreicheren Briefwechsel ein etwa zwischen Erasmus und Luther, später dann zwischen Kepler und Leipniz. Die hohe Zeit erlebt die Briefkultur aber im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung. Man schrieb, seien wir genauer, vornehmlich Repräsentanten des städtischen Bürgertums und des Adels, bis dass die Federn sich bogen. Von Voltaire wird berichtet, er habe bis zu 80 Briefe am Tag geschrieben. Und bei der Lektüre des 1782 entstandenen Briefromans „Les liasons Dangereuses“ von Choderlos de Laclos kann man erahnen, mit welcher Leidenschaft man in jener Epoche Briefe schrieb, verschickte und las. Man schrieb aber nicht nur von Amouren und Liebesverrat, sondern auch, um den Daheimgebliebenen Eindrücke von Reisen zu schildern, aus Anlaß von Erbstreitigkeiten, oder um sich über den Stand familiäre Entwicklungen gegenseitig zu unterrichten. Und man schrieb Briefe, um seine Ansichten zur Moral und angemessenen Lebensführung an Angehörige und Freunde weiterzugeben. Wer Philip Dormer Stanhope Earl of Chesterfields „Briefe an seinen Sohn Philip Stanhope über die anstrengende Kunst, ein Gentleman zu werden“ aus dem Jahre 1774 gelesen hat, kann sich die Lektüre ganzer Regale von Manieren-und Benimmbücher sparen, die ja heute wieder so gefragt sein sollen.

Dass gerade im 18. Jahrhundert das Schreiben und Lesen von Briefen so explodierte, lag sicherlich auch an der zunehmenden Verbesserung des allgemeinen Postzustellungswesens. Und, was die Briefkultur revolutionierte: es wurden immer mehr ‚Empfindungs – oder Erbauungsbriefe‘ geschrieben, die zu einer großen Domäne von Frauen wurden. Vielleicht sogar waren Frauen die eigentlichen Stützen der Briefkultur – und sind es bis in unsere Tage hinein geblieben. Gegen den fast ausschließlich nüchternen, geschäftsmäßigen, zweckgerichteten Briefstil der Männer setzten Frauen eine ‚Briefkultur des Herzens‘, in der Gefühle, Geschmacksurteile und Lebendigkeit einen gleichwertigen Stellenwert erhielten. Bereits im 17. Jahrhundert schrieben Liselotte von der Pfalz und die Marquise de Sèvignè, was ihnen die große und die kleine Geschichte am Hofe so Tag für Tag zutrieb, Klatsch & Tratsch inklusive. Um für die ausufernde Briefkultur auch einige Definitionen zu finden, forderte zum Beispiel der ‚Brockhaus‘ von 1827 „ daß der Brief, um auf den Empfänger die gewünschte Wirkung hervorzubringen, die Eigentümlichkeit desselben gleichfalls beachte und sich derselben anschließe…Unter dem vertraulichen Briefe im weiteren Sinne kann man denjenigen verstehen, in welchem man sich vertraulich ausspricht. Hier sind es die Verhältnissse der Verwandtschaft, der Liebe, Freundschaft, Dankbarkeit, des wohlwollenden Umgangs, auf welche sich die vertrauliche Mittheilung gründet – und so umfassend der Kreis der Gefühle und Gegenstände ist, welche ein Herz dem anderen mittheilen kann, so umfassend ist auch der Inhalt des vertraulichen Briefes. So verschieden die Individualität und Lage des Schreibenden, so verschieden auch der Ton und die Form, welche der vertrauliche Brief annehmen kann.“

Die Romantiker waren allesamt große Briefeschreiber. Später dann Goethe, Schiller, Kant, Hegel. Es folgten Storm, Fontane, Keller bis schließlich zu Stefan Zweig. Eine der vielleicht schönsten Anthologien deutscher Briefe hat Walter Benjamin 1926 unter dem Pseudonym Detlef Holz herausgegeben. Sie sollte noch einmal eine großen Zeit des deutschen Bürgertums in Erinnerung rufen und einer „Ehre ohne Ruhm, von Größe ohne Glanz, von Würde ohne Sold“ gedenken. Lichtenberg und Kant, Hölderlin und Brentano, von Droste-Hülshoff und Büchner, sie alle sind in diesem Band mit Briefen versammelt, die Zeugnis geben von einer wie Goethe schrieb, „Epoche, die so bald nicht wiederkehrt.“ Wie man einmal miteinander in Briefen verkehrte, sich gegenseitig respektierte und voneinander Abschied nahm, kann man hier in der Lektüre jedes Briefes staunend zur Kenntnis nehmen. „Erhalten Sie mir Ihre Gefühle wie sie der meinigen versichert sein können“ (Fürst von Metternich an den Grafen von Prokesch-Osten).

„Ich habe die Ehre mich Ihnen gehorsamst anstandshalber zu empfehlen und zeitlebens zu sein dero gehorsamster Diener Heinrich Pestalozzi (in einem Brief an Anna Schultheiß ; „Damit will ich diesen Brief an einem Sonntagmorgen schließen, nur noch die herzlichsten Grüße von uns allen müssen sie annehmen, ehe Sie ihn hinlegen“ (Wilhelm Grimm an Jenny von Droste-Hülshoff); „Leben Sie recht wohl und vergeben Sie mir meine Zudringlichkeit, ich meine alles wohl und verharre hochachtungsvoll….“ (Georg Christoph Lichtenberg)

Es wurden auch nach ihnen noch Briefe geschrieben und es werden sie auch heute noch getauscht, aber es dämmert uns auch immer mehr, dass die Kultur des Briefschreibens sich ihrem Ende nähert. Man sollte sich also gefasst auf den Untergang einstellen und heute schon mal festhalten, was in einem zu schreibenden Nekrolog auf die irgendwann endgültig untergegangenen Briefkultur enthalten sein muß. Dann, wenn es soweit ist, werden wir unsere Trauerbekundung handschriftlich mit Tinte auf bestem Schreibpapier niederlegen. Niemals geschrieben mit einer Schreibmaschine, geschweige denn in der Form einer e-mail!

Acht Liebesbriefe täglich

An viele wichtige Briefwechsel ist zu erinnern, die Teil unserer europäischen Identität oder konkretisieren wir, unserer deutschen Kultur geworden sind: an die exquisiten Vielschreiber Rilke und Hugo von Hofmannsthal, an Franz Kafka, der seine Geliebte Felice Bauer mit bis zu acht Liebesbriefen täglich regelrecht belagerte, an die so farbigen, mal todtraurigen, mal so lebensfrohen Briefe, die Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis an ihre Freunde schrieb, an den so ernsthaften brüderlichen Briefwechsel zwischen Thomas und Heinrich Mann, an die kurzen, prallvoll mit Ironien und Bosheiten gefüllten Briefe zwischen Siegfried Jakobsohn und Kurt Tucholsky über die „Die Weltbühne“, an Alfred Polgar und Joseph Roth, die letzten Repräsentanten der ‚habsburger Briefetikette“ , an Hannah Arendts Briefwechsel mit dem umworbenen Karl Jaspers und ihrem geliebten Ehemann Heinrich Blücher, an die oft verzweifelten Bittbriefe des um sein geistiges und materielles Überleben kämpfenden Walter Benjamin an seinen Freund Gershom Scholem, um nur eine kleine Auswahl bedeutender deutschsprachiger Briefautoren zu zitieren.

Als eine Möglichkeit, sich im vorsichtigen Gespräch mit einem Briefpartner über die Katastrophe von Faschismus und Krieg zu verständigen, blühte der Brief in der Nachkriegszeit wieder auf. Böll schrieb an einen jungen Katholiken, Primo Levi an deutsche Leser seiner Ausschwitz-Erinnerungen, Alfred Andersch erregte sich in öffentlichen Briefen über die Restauration in der Adenauer-Zeit. In den letzten Jahren sind viele dieser Briefwechsel veröffentlicht worden und neue Editionen anderer Briefwechsel sind zu erwarten. Aber es werden dann wohl auch die letzten Zeugnisse einer Kultur sein, die über kleinere bildungsbürgerliche Netze hinaus keine gesellschaftliche Resonanz mehr findet. Zwar werden auch heute noch Briefe geschrieben, aber die Konkurrenz dieser Form eines schriftlichen Gespräche ist einfach zu übermächtig geworden.Als Vernichter dieser Kultur führte Zweig die Zeitungen, die Schreibmaschine und das Telephon an. Die Zeitungen, weil sie den intimen Austausch von Nachrichten zu einem öffentlichen Hinausposaunen von Neuigkeiten gemacht hätten. Die Schreibmaschine, weil sie die Unverwechselbarkeit der persönlichen Handschrift, ihr „geheimes Bildnis“ des Schreibenden, zerstört hätte. Das Telephon, weil es in die zwischenmenschliche Kommunikation das Moment der Geschwindigkeit und Hast eingeführt hätten. Hinzu gekommen sind seit den Zeiten eines Stefan Zweig die FAX-Mitteilung, die die persönliche Handschrift zwar wiedergeben kann, aber nur in reproduzierter, kopierter Form. Einem FAX-Brief wird man nie entnehmen können, ob er mit einem Tintenfüller, einem billigen Kugelschreiber oder einem Billig-Filzstift geschrieben wurde. Dann folgte der qualitative Sprung zum Handy mit seinen immer raffinierteren Möglichkeiten, die Adressaten wo und wann auch immer in Kontakt erreichen zu können. Aber mit einem differenzierten Austausch von Meinungen, Gefühlen, Absichten hat die SMS-Kommunikation von heute nichts mehr zu tun. Welche Welten bestehen zwischen einer auf Kürzel und Symbole reduzierten I love you-Botschaft via SMS und Liebesbriefen wie sie zum Beispiel ein Pablo Neruda an seine Geliebte Albertina Rosa schrieb.., „Colombo, 17, Dezember, Ceylon 1929 – Mein Rotznäschen, ich gedachte Dir nicht zu schreiben, bis Du nicht meine vorigen Briefe beantwortet hättest, aber es ist Nacht, es ist heiß, ich kann nicht schlafen. Dein schönes Bild steht auf meinem Nachttisch: ich habe einen kostbaren Holzrahmen dafür machen lassen und Deine Augen, von denen ich glaubte, sie würden mich nie mehr sehen, blicken mich Tag und Nacht an…Sei mitteilsamer, liebevoller, fragefreudiger, weiblicher in Deinen Briefen: das Leben könnte es nicht mehr sein, ich kenne Dich eben so wie ich Dich liebe und weiß, daß Du voll unendlicher Zärtlichkeit bist. Wenn Du schreibst, sag alles, alles was Du fühlst und glaubst und leidest und genießt. Aber schreibe mir niemals unter zehn Seiten. Der Deine vielmals Dich ganz küssende Pablo.“ Einen Liebesbrief, niemals unter zehn Seiten. Dazu noch zwei, drei Gedichte…Voilà, das ist eben der Unterschied zwischen einer SMS und einer „Briefkultur des Herzens“.Und schließlich gibt es auch noch das e-mail, mit dem weltweit und in Jetztzeit jedermann eine schriftliche geschriebene Botschaft erhalten kann.

Klick und weg

Warum sollte man also im Internet-Zeitalter noch Briefe schreiben? Es zu tun, kann man nicht einklagen. Man kann es nicht erzwingen und auch nicht mit nostalgischen Verweisen auf früher zurücksehnen. Die Überlegenheit der Internet-Kommunikation scheint zu groß, als dass man sie noch ernsthaft in eine Konkurrenz zum alten Brief stellen könnte. „Einstweilen sieht es so aus“, schrieb Adorno 1966, „als entzöge die Technik den Briefen ihre Voraussetzung.“ Wer heute noch das Briefeschreiben verteidigt, muß also starke Argumente auf seiner Seite haben.

Scheint doch das elektronische Mailen dem Schreiben in allem überlegen zu sein. Den Adressaten erreicht die Botschaft mit der Geschwindigkeit eines einzigen ‚Klicks‘. Briefmarken sind überflüssig geworden und – wenn man will – kann man eine Kopie der Mail auch gleich noch in einer Mailing-Liste an andere weiterleiten. Aber schon das Wissen, nicht exklusiver, persönlicher Adressat eines Briefes, sondern anonymes Mitglied einer Mailing-Liste zu sein, mindert ganz entscheidend den Wert einer mail. Und was ihr vor allem fehlt, ist das Eros der Schrift, die Ästhetik des Briefpapiers und der Umschläge, die Raffinesse der Briefmarke, das generöse Verhältnis zur Zeit. Was ist das Öffnen einer in der Mailbox eingetroffenenen Nachricht gegen jenen spannungsvollen Moment des Aufschlitzens eines Briefumschlags? Eine e-mail zu lesen, bedarf es eines schnellen, kalten Klicks. Ein Brief aber ist verschlossen, versiegelt wohl nicht mehr, aber für andere nicht einsehbar zugeklebt, vielleicht noch mit der Zunge befeuchtet. Absurd sich vorstellen, dass eine e-mail mit einem zarten Kuss auf die Reise durch das World Wide Web geschickt worden ist. Aber ein Liebesbrief läßt diese Möglichkeit genauso offen wie ein wütendes Aufkleben der Briefmarke auf den empörten Brief an einen säumigen Geschäftspartner. Es bedarf eines Messers oder stilvoller, eines Brieföffners, um zu lesen, was der Absender uns mitteilen will. Und dann erst die Briefmarken. Es gab einmal eine Zeit, da konnte man noch dem Briefmarkenstempel entnehmen, wo der Brief aufgegeben worden war. Berlin, Baden-Baden oder Bayreuth auf eine Briefmarke mit dem Kopf Mozarts, einem Bild Picassos, einer französischen Kathedrale gestempelt, weckte Phantasien nach der großen Welt. Wen aber verzaubert ernsthaft eine Stempelaufschrift „Briefzentrum“?

Der Brief muß entnommen und aufgefaltet werden. Man kann ihn nach der Lektüre archivieren, was allerdings der elektronische Mail-Verkehr auch zuläßt. Aber schon ein Virus, eine nicht gesicherte Datei und schon ist die Mitteilung ‚gecancelt‘, für immer verschwunden.

Dass wir heute Zeitzeugen des Untergangs der Briefkultur werden, ist aber nicht nur eine Folge technischer Revolutionen in der elektronischen Massenkommunikation. Auch die für eine stabile Briefkommunikation unumgängliche Infrastruktur ist in den letzten Jahren immer mehr auf den Hund gekommen. Die Zahl der Briefkästen wurde reduziert, das Porto wurde immer mehr erhöht, die Zustellungsbezirke für Postboten wurden ausgeweitet. „Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken.“

Jene Gespenster, von denen Franz Kafka klagt, gingen bei uns ein und aus. Sturztrunkene Briefboten, die in meinem Elternhaus Station machten, waren noch in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts keine Seltenheit. Welcher Postbote kann es sich aber heute noch leisten, bei seinen Kunden auch einmal eine Pause einzulegen? Schon am anderen Tag würden sich die Beschwerden der Kunden in der mail-Box des zuständigen Post-Service-Zentrums stapeln.

Ja, früher war alles anders und die Briefkultur ist auch nicht mehr das, was sie einmal war, als sich sogar Ehepaare oder Nachbarn noch die Zeit und Muße nahmen regelmäßig Briefe untereinander auszutauschen. Dass aber seit den Tages Goethes immer wieder der Untergang des Briefeschreibens verkündigt worden ist und dann trotzdem munter weiter geschrieben wurde, läßt auch hoffen. Auch der Kulturpessimist Stephan Zweig ließ in seinem Lamento über den Untergang der Briefkultur ja noch ein Fenster offen: „Mit Briefen ist’s wohl auch eine Kurve im Leben, man liebt sie zuerst, vergißt, verliert sie dann, über dem stärkeren gedruckten Wort, aber dann, glaub ich, kommt man wieder zu ihnen zurück.“

Carl Wilhelm Macke