Aufhören, wenn’s am Schönsten ist
– Zum letzten Mal nun also Orang: Die zehnte Ausgabe des Comic-Magazins kommt in Schwarz und Schimmelgrün daher, mit metallic-silbernen Rahmenlinien. Brutstätte der 170 Seiten starken Broschur bleibt Hamburg, der Herausgeber ist auch diesmal Sascha Hommer, der die Schwanengesangs-Nummer genutzt hat, um in diversen Interviews noch einmal Konzept und Historie eines 10-jährigen Verlaufs zu erläutern. Von einer „Plattform für studentische Arbeiten“ (2003) hat sich Orang zum eigenwilligen Blick auf das Schaffen junger, mehrheitlich deutschsprachiger Zeichner erweitert, von denen heute viele nicht mehr (und der eine oder andere noch nicht) in Hochschulen eingebunden sind. An interessanten ZeichnerkollegInnen mangelt es dem wechselnden Redaktionsteam nicht, was zunehmend fehlt, ist die Zeit, ihr anspruchsvolles Anthologie-Vorhaben fortzusetzen. So kommt mit Orang X: Heavy Metal – nun das Ende.
Mit Editorials hatte es das Magazin nie so. Wer sich dennoch fragt, inwieweit das Heftthema sich auf „Metal Hurlant“, das legendäre, Mitte der 1970er von Moebius et alii gegründete Comic-Magazin (mit seinen amerikanischen und deutschen Ablegern, „Heavy Metal“ und „Schwermetall“) bezieht, ist ziemlich sicher über 40 Jahre alt und männlich. Der Redaktion ist zuzutrauen, dass sie, in vielfach verschlüsselter Ironie, den legendären Titel-Vorläufer mit ihrer Themenwahl auch anspielen. Wie, bleibt offen. In Orang waren aufgepumpte Muskeln und Titten mit surrealen Lichteffekten immer schon untervertreten, und das gilt auch für die Nummer 10: Die Fantastik und Gewalt etwa eines Richard Corben, die generelle Pin-Up-Lust an Anatomie findet hier nur sehr vermittelt statt.
Nicht der Körper ist Fetisch in Orang. Wenn überhaupt, ist es die Erzählung, die den Strich der Bilder bisweilen so schnell hinter sich herzieht, dass er über seine eigenen Füße zu stolpern droht. Die Ausnahme, auch in dieser Ausgabe, ist der Beitrag von Anke Feuchtenberger, die grande dame des Comics in Deutschland und als Professorin in Hamburg eine Instanz, deren Unterricht die meisten weiteren Beitragenden irgendwann gestreift haben. Feuchtenbergers Bilder erzählen immer mehr als die Geschichte, und dabei die Geschichte immer mit, in „Effi redet Blech“ einmal mehr in einer Form, die (zumindest im deutschen Sprachraum) ganz so von dieser Künstlerin noch nicht zu sehen war. Sie gibt Einblick in eine Mädchenfreundschaft in Ostdeutschland, nah genug an den Geschehnissen des Krieges dran, dass die Großmutter davon beim Stricken noch berichten kann – im Berufsleben ist die ältere Dame dann die Lehrerin, die Schülern die „russischen Freunde“ nahebringt. Man kann den Beitrag auch als Vorabdruck sehen, er ist Teil eines größeren Buchprojekts, an dem Feuchtenberger aktuell sitzt.
Neben dieser reifen Balance steht in Orang X viel ästhetisches Ungestüm, um nicht zu sagen Ungeduld. Strich jagt Text jagt Strich – oder Bild-Vorschlag – mit Ausnahme vielleicht von Zuo Mas „Das Mädchen und der Käfer“, das mit satten Landschaften, aber einer eher flachen Erzählung aufwartet. (Die andere Ausnahme, Klaas Neumanns „Inside the Barbarian“, mutet weniger wie ein Comic als wie ein Pitch für ein Plattencover an.)
Till Thomas’ „Crazy Cop“, die bad lieutenant-Story in dieser Sammlung, operiert – wie auffallend viele der Zeichner – mit linealgraden Bildrändern, stellt dann jedoch seine Panels in einen kontextuellen Hintergrund, der das Gewaltthema zu Stationen innerhalb eines übergreifenden Spielfelds werden lässt. Doppelter Boden nach Chris Ware (aber wilder), eine schöne Sache. Durchgeknallt – zuverlässig für alle, die die Zeichnerin schon kennen – ist Anna Haifischs Gruselgeschichte zur Mutter aller Gitarren, eine Reise in den Uterus der Fender-Finsternis. „Das Bettlaken wird euch hinausbegleiten“ – selten wurde ein Gespenst so treffend demontiert. „Fender Mom“ ist nebenbei der Beleg, dass einer jüngeren Comic-Avantgarde die Komik im Comic nicht ganz fern liegt. Erfrischend surreal verfährt auch Angela Dalinger mit ihrer nächtlichen Metal-Klubgeschichte, „The Were-Wurf“, deren krude gemalte Bilder man sich gerne in groß anschauen würde. Da steckt Humor schon im Titel: Der junge Mann, der sich bei Vollmond in einen Maulwurf verwandelt, wird nach der Logik einer deutsch-amerikanischen Horrorfreundschaft zum „Were-Wurf“. Es dauerte ein bisschen, bis der Witz bei dieser Leserin angekommen war. Dafür saß er dann auch.
Und die perfekte Comicminiatur? Die gibt es hier ebenfalls, sie stammt vom Herausgeber selbst. Sascha Hommer krönt seinen zehnjährigen Orang-Einsatz mit „Drifter“, einem Beitrag, der zu den besten der mir bekannten Arbeiten dieses Künstlers gehört. Der strenge und stringente „Comic Noir“ mit Masken und Bomben schlägt punktgenau dort auf, wo die Suche nach neuen Formen hinstrebt; Bild folgt hier Bild als Narration, die sich jeder (kürzeren) Nacherzählung verweigert. Bleibt der Hinweis, dass die Sprengung von Hochhäusern dem Comic besonders gut stehen. KRAK. BOUM. – Pause. – PUM. (Mag ich.)
Es sei darum gegangen, jüngeren Comic-Schaffenden ein Forum zu bieten für Arbeiten, die in regulären Verlagen nicht unterkämen, benennt Hommer ein früher Vorsatz von Orang. Das immerhin hat sich geändert: Generation Orang hat in die Verlagsprogramme (und Tageszeitungs-Strips) Einzug gehalten, Orang selbst wird seit der vierten Ausgabe vom Verlag Reprodukt vertrieben. Erfreuen dürfte das Magazin seine Leser nach wie vor, überraschen wird es sie nicht mehr so oft. Das spricht nicht gegen das Unternehmen, es spricht nur für sein Beendung zur rechten Zeit, die jetzt gekommen ist, nach Willen der Macher, und damit für ihren Mut steht. Aufhören, wenn’s am Schönsten ist? Orang macht es vor: Respekt.
Brigitte Helbling
Orang X: Heavy Metal. Herausgeber: Sascha Hommer. Mit Beiträgen von: Sharmila Banerjee, Verena Braun, Yan Cong, Anke Feuchtenberger, Aisha Franz, Jul Gordon, Anna Haifisch, Sascha Hommer, Angela Dalinger, Marlene Krause, Martina Lenzin, Zuo Ma, Marijpol, Klaas Neumann, Paul Paetzel, Till Thomas und Amanda Vähämäki. Reprodukt Verlag, Berlin 2013. 172 Seiten. 18 Euro. Zur Orang-Homepage. Abbildung: Reprodukt, zur Webseite des Verlags.
Keine Orang-Ausgabe ohne Party: Für die Nummer 10 sind es gleich drei.Der Auftakt an der Leipziger Buchmesse im Millionaires Club ist vorbei. Es folgen Hamburg: 05. April, 20.00 Uhr — Hinterconti, Marktstraße 40a, 20357 Hamburg, (mehr hier) und Berlin: 12. April, 20.00 Uhr — LQR Company, Weserstraße 53, 12045 Berlin, mehr hier.