Geschrieben am 22. August 2004 von für Litmag

Plädoyer für das Fluchen

Ihr gemeinen Wackelärsche

Höfliches Plädoyer für das Fluchen.

Da steht man unausgeschlafen mit Schädelbrummen auf. Sieht im Geiste schon wieder die Gesichter langweiliger Arbeitskollegen, wird an unbezahlte Rechnungen erinnert, hört im Frühstücksradio irgendeine drittklassige Berliner Charge über die Arbeitsmarktreform schwadronieren. Kaffee zu dünn, Hose zu eng, Hemd zu schmutzig. Reißt mißmutig die Haustür auf, blickt flüchtig im Vorbeigehen auf das Heck eines propperen Autos, entdeckt einen Aufkleber, liest ihn – und glaubt seinen Augen nicht: „Beginne den Tag mit einem Lächeln und behalte es den ganzen Tag“. Verflucht noch mal. Jetzt reicht’s aber mit dieser elenden Pädagogisierung unseres Alltags, dieser Ausbleichung der Sprache Luthers und Abraham a Santa Claras. Es stinkt einem alles und dann soll man auch noch lächeln. Einen ganzen Tag lang. O, Götz von Berlichingen, erbarme dich unser….

Was waren das doch noch verdammt schöne Zeiten als man so richtig von Herzen und frei von der Leber weg fluchen konnte, dass die Balken krachten wie es im Grimmschen Wörterbuch so wunderbar nachzulesen ist. Als das Fluchen und Schimpfen noch eine Kunst war, ein phantasiereiches Jagen quer über die Felder der bösen und saftigen Sprache. Als „die Kultivierung ganzer Fluchlitaneien“, wie wir in einer der wenigen Studien über Verwünschungen und Verfluchungen von Eva Labouvie lesen können, „vor allem älteren Menschen als eine Art Überlebensstrategie diente“ (in „Zeitschrift für historische Forschung“, 1993 (Beiheft 15, S. 142). Waren nicht Beleidigungen, Flüche und wahre Schimpforgien, von ordinären Kraftausdrücken einmal ganz abgesehen, Jahrhunderte lang Bestandteil der ganz normalen Umgangssprache? Und sind sie es nicht besonders in den mediterranen Ländern heute immer noch? Kann man nicht sogar im ehrwürdigen Palazzo Montecitorio, dem italienischen Parlament, gelegentlich Zeuge von Wortwechseln zwischen Abgeordneten gegnerischer Parteien werden, die hierzulande erst nach Mitternacht sendereif sind? Zwischen den Sprachempfindlichkeiten protestantischer Pfarrersfrauen in Mecklenburg-Vorpommern, denen von Hafenarbeitern in Genua und Parlamentsabgeordneten in Rom liegen, Gott oder weiß der Teufel wem sei Dank, Welten. Hinzu kommt dann noch vornehmlich in den südlicheren Ecken Italiens ein schier unerschöpfliches Repertoire an schauspielerisch grandiosen, aber oft auch wenig zitierfähigen Gesten. Da schwirren noch ohne Unterbrechung die Hände durch die Luft, werden zu Fäuste geballt, dann gefaltet, gespreizt, geknetet. Vulgäre Anspielungen folgen Gesten des Stolzes, der Unsicherheit, des Spottes, des Dankes oder der Drohung.

Aber, machen wir uns nichts vor – auch die Glanzzeiten des Fluchens, der Vermaledeiungen und der artistisch beherrschten bösen Gestensprache sind heute längst vorbei. Phantasieversteppung, kleinbürgerliche Bigotterie und ein immer feiner gestricktes Netz an Beleidigungsparagraphen haben die hohe Kunst barocker Verfluchungen fast vollständig aus unserem Sprachschatz entfernt. Was unsere Sprache so vielleicht an Pazifismus und (beileibe nicht zu unterschätzen) an Zivilität gewonnen hat, ist ihr andererseits an Saft, Kraft und Witz verloren gegangen. Man lese zur Geschichte der deftigen Sprache nur einmal, was der englische Historiker Peter Burke in einer Untersuchung über „Beleidigungen und Gotteslästerungen im frühneuzeitlichen Italien“ (Berlin, 1986) zusammengetragen hat. Alle Dokumente, so Burke, „zeigen im Übermaß, daß die Umgangssprache reich an solchen Beleidigungen war, wie es sich von einer Kultur erwarten läßt, in der auf Redegewandtheit großer Wert gelegt wurde und wird, Schlagfertigkeit eingeschlossen, die schnell und bissig sein muß“.
Wie blaß und zahnlos ist dagegen unsere von pingeligen Dudenphilologen und piekfeinen Anstandsdamen akzeptierte Standardsprache geworden! Aus Unwissen um den untergegangenen Reichtum der Sprache, einschließlich des zornigen Fluchens, stammeln wir nur noch monoton ordinär vor uns hin. Scheiße – zu mehr reichts bei uns einfach nicht mehr. So verliert die Sprache, wie es auch der angesehene italienische Publizist Pietro Citati in der römischen Tageszeitung „La Repubblica“ resignierend festgestellt hat, „jede Farbe, Spannung, Modulation und Nuancierung“. Als ließe sich die unendliche Vielfältigkeit des Lebens einschließlich ihrer verfluchten Ärgernisse auf ein erschreckend armselig gewordenes Repertoire monoton wiederholter Kraftausdrücke reduzieren! Man muß sich angesichts dieser Fluchverarmung da einmal auf der Zunge zergehen lassen, wie (pardon) A…loch, eines der beliebtesten, aber auch nicht sonderlich phantasiereichen deutschen Schimpfwörter, ins Neapolitanische ‚übersetzt‘ wird: „Du bist auch nicht mehr wert als der Schaum zwischen den Hinterbacken der Rösser der berühmten Bestattungsfirma Bellomondo, während sie an einem heißen Augusttag nach der achten Beerdigung die steile Straße zum Capodimonte hinaufziehen.“ Voilà – so wurde einmal in Neapel geflucht!

Die letzten Flecken an Farbe und Sinnlichkeit werden der Umgangssprache heute von den sich überall einmischenden sprachlichen Putzkolonnen beseitigt. Warum, in Herrgott’s Namen, werden in unseren Schulen immer weniger die großen Klassiker des Fluchens gelesen? Meinetwegen auf CD-Rom, aber lest sie! Was wäre der Schatz unserer Sprache etwa ohne die wenig zimperlichen Verfluchungen des Alten Testaments? „Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen…eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen“ (Amos, 5, 21). Und bei dem Mönch (!) und Mediziner Rabelais könnte man lernen, wie saftig einmal die Sprache des Fluchens gewesen ist: „Du geiler Lumpenhund, edler Kacker, Bettnässer, Saufnickel, gichtfüßiger, hodenlahmer Sonntagsnarr, ihr verfluchtes Kuttenpack und aufgeblasenen kreischenden Frauenzimmer…dreimal verflucht, ihr gemeinen Wackelärsche“. Lest Cervantes, Shakespeare, Balzac, Goldoni, ergötzt Euch an den Stücken der Commedia dell‘ arte, schnalzt die Zunge bei den saftigen Dialogen in Fernando De Rojas ‚La Celestina‘, laßt Euch von den grandiosen Zornausbrüchen Martin Luthers („die verpesteten Schmeichler des römischen Bischofs“), den donnernden Barockpredigten eines Abraham a Santa Clara, den nicht endenden Schimpfwellen eines Thomas Bernhard, den grantigen Reisereportagen eines Giudo Ceronetti mitreißen, um einmal wieder wenigstens eine Ahnung vom Reichtum der heute völlig ausgetrockneten Fluchsprache zu erhalten.

Was war zum Beispiel einmal auch die bayerische Sprache ein unerschöpflicher Brunnen an mark- und beinerschütternden Kraftausdrücken: Du Siach, Laderl, Luader, Muffe, Oaschloch. „Dea gherat e d Groum ei’keit und zougschiss’n“ (Für die Übersetzung frage man einen oberpfäzer Freund ). „I scheiß aufn Burgamoaster und aufn Pfarra erst recht“. Tiefer in das Lexikon des bayerischen Fluchens einzusteigen verbietet an dieser Stelle des Presserecht, die Sprachkenntnis des preußischen Autors und die Angst desselben vor Beleidigungsklagen aller Art.

Damit man sich aber nicht mißversteht: die Vorsicht im Gebrauch von Beleidigungen, Schmähungen und Verfluchungen ist ein nicht zu unterschätzendes und verteidigungswürdiges Zeichen zugenommener Zivilität. Wen sein Nachbar nicht bei jedem kleinen Streit über die nicht gemähte Hecken mit einer Salve an Beleidigungen überfällt, wird weiß Gott nicht der Fluchkultur früherer Jahrhunderte nachtrauern. Bürgerlicher Anstand und Höflichkeit in der Begegnung mit dem Anderen und, dies vor allem, mit Minderheiten, sind Errungenschaften unserer Zivilisation, auf die nur verzichten will, wer sich in die Zeiten von Blutrache und Selbstjustiz zurückwünscht. Aber haben wir diesen Fortschritt im friedlichen zwischenmenschlichen Umgang nicht auch mit einem schmerzhaften Verlust an kommunikativer Farbigkeit, nuancenreichem Wortwitz und sprachlicher Sinnlichkeit bezahlt? Der amerikanische Sprachwissenschaftler Barry Sanders hat vor einigen Jahren die etwas verwegen erscheinende These aufgestellt, dass der Verfall der traditionellen Sprachkultur, einschließlich des farbigen, lebendigen Schimpfens, auch die „grundlegende Grammatik des menschlichen Zusammenlebens zerstört“ (Barry Sanders, Der Verlust der Sprachkultur, Frankfurt am Main, 1995). Indizien für diese „Verwerfung im Grundgestein unserer Kultur“ (Sanders) sieht er vor allem in der Zunahme offener Gewaltbereitschaft in der amerikanischen Gesellschaft. Jugendliche, so Sanders, die nicht mehr nuancenreich verbal miteinander streiten könnten, bliebe nur noch der brutale körperliche Schlagabtausch, der Sieg der Frechheit und Bizeps über die Intelligenz und zivile Rücksicht. Gewiss, zwischenmenschliche Gewalt und das Fallen aller humanen Schranken gegenüber „Fremden“ und Minderheiten sind nicht monokausal zu erklären. Statt sich im näselnden Tonfall die Rückkehr von feinen Manieren, Krawattennadel und silbernem Buttermesser zu wünschen, soll man lieber den Reichtum der Sprache, das Lexikon des Fluchens inklusive, rühmen und lehren.
Kurz und gut: es ist ein Graus mit dem Verfall der Fluchkultur und der Zunahme allgemeiner Empfindlichkeiten. Davon profitieren doch letztlich nur die Anwaltskanzleien und Therapeuten. Wenn der Wille zur bigotten und blutleeren Sprache, wie er in den wohlfeilen Klagen über die angebliche Verrohung unserer „Alltagskommunikation“, die tatsächlich aber Ausdruck einer Verarmung ist, weiter grassiert, können wir uns jedenfalls noch auf einiges gefaßt machen. Dann diktieren uns irgendwelche Tugendtanten und blassen Sprachblockwarte, was wir in den Momenten noch von uns geben dürfen, in denen in früheren Zeiten herzbefreiend geflucht werden konnte. Beginne den Tag mit einem Lächeln…Nix da. Shakespeare ist mir lieber: „Die Scheißerei sollt ihr kriegen, ihr hinterlistigen Sauhunde.

Carl Wilhelm Macke