Geschrieben am 3. Juni 2017 von für Litmag, News, Reise Special 2017

Reise Special 2017: Paul Theroux: Ein letztes Mal in Afrika

 theroux2Das verlorene Paradies Afrika

Paul Theroux ist 72, als er sich ein letztes Mal nach Afrika begibt. Der Amerikaner hat früher in Malawi und Uganda gelebt und ist immer wieder nach Afrika gereist. Jetzt will er noch einmal sehen, wie der Kontinent sich verändert hat und ob es das Paradies Afrika noch gibt.

Das Buch beginnt mit einem Besuch bei den „wahren Menschen“, Buschmenschen in Namibia, die heute noch zum Teil im Buschland leben und sich von der Jagd ernähren. Theroux geht mit ihnen auf die Jagd und verbringt ein paar Stunden mit ihnen, glücklich, wieder auf diesem Kontinent zu sein, auf dem er einst zu Hause war, bei Menschen, die zufrieden ohne Geld leben, wie es scheint. Vermutlich ist dies der glücklichste Moment seiner Reise, selbst als sich dieser später als Illusion herausstellt. Denn Theroux war zu Gast in einem lebenden Museum.

40526_1_Theroux_UMSCHLAG.inddRealität hingegen sind die modernen Häuser in den Townships von Kapstadt, dem Ausgangspunkt seiner Reise. Südafrikas Regierung und ausländische Geldgeber haben es sich viel kosten lassen, richtige Häuser mit Strom und Wasser zu bauen, wo früher Wellblechhütten standen. Aber: jeden Tag wachsen an den Rändern der Townships neue Wellblechhütten nach, kommen neue Bewohner vom Land in die Städte, hoffen auf ein besseres Leben und werden enttäuscht. Alle Städte, die Theroux besucht, haben ihre Slums. Theroux begibt sich trotz der Warnungen vor Kriminalität immer auch dorthin und spricht mit den Menschen, deprimiert von der Hoffnungslosigkeit, die ihm begegnet.

Theroux reist mit viel Zeit, nach der Landstreichermethode, wie er es nennt – er nimmt den Bus oder einen Transporter; bewegt sich wie die Einheimischen, langsam und unbequem. Manchmal findet er in der Natur Trost, manchmal trifft er, der ausgewiesene Gegner von Entwicklungshilfe („Wohltätigkeitsindustrie“), auf Projekte, die ihn hoffnungsvoll stimmen. Wie in Tsumkwe, einem kleinen Ort am Rande Namibias, wo die Dorfbevölkerung mit Hilfe ausländischer Organisationen Schrift- und Tondokumente herstellt, um die eigene Kultur und Geschichte zu bewahren. Ein Ort, an dem Theroux klar wird, dass Hilfsprojekte manchmal durchaus sinnvoll sind.

Einmal macht Theroux Halt in einer Luxus-Lodge in Botswana und reitet auf einem Elefanten durch das Okavanga-Delta. Das ist das Afrika der westlichen Touristen, das nichts mit dem Afrika der wachsenden Städte und ihren Slums zu tun hat. Die Menschen dieser unterschiedlichen Seiten Afrikas begegnen einander kaum. Theroux und sein Buch sind eine Art Bindeglied zwischen den verschiedenen Seiten Afrikas.

Nach wochenlanger Reise erreicht Theroux die angolanische Hauptstadt Luanda. Angola steht exemplarisch für die afrikanischen Staaten, die aufgrund von Bodenschätzen zu den reichsten der Erde gehören, deren Reichtum aber niemals bei der Bevölkerung ankommt, weil eine Herrscherfamilie allen Reichtum für sich und die Ihren beansprucht. Alles, was er zuvor bereits an Elend und Chaos und Korruption gesehen hat, ist hier potenziert. Ein Alptraum.

Heimlich hatte er davon geträumt, sich auf dieser letzten Afrikareise bis Timbuktu durchzuschlagen. Aber in Luanda wird ihm klar, dass er nicht mehr will. Er hat genug gesehen. Die Frage: „Was tue ich hier?“, drängt sich immer häufiger in seine Gedanken. Erleichtert gestattet er sich, umzukehren und die Beschreibung der Slums von Kinshasa und Lagos jemandem anderen zu überlassen – er kann und er will nicht mehr. Auch Boko Haram stellt eine Gefahr dar, der er sich nicht aussetzen will. Reisen in Afrika ist nicht mehr so möglich, wie er es als junger Mann geschätzt hat, konstatiert er.

35508ea9c4Melancholisch ist das Ende der Reise, jedoch nicht pessimistisch. Für Theroux geschieht in Afrika gerade das, was in der übrigen Welt nur langsamer geschieht: Ressourcenschwund, Wegfall von Arbeit, Wachstum der urbanen Zentren. Für Theroux ist nicht ausgemacht, welche Antwort die Welt auf diese Fragen haben wird. Aber er glaubt durchaus an Antworten.

Er hat seinen Teil dazu getan: als Reiseschriftsteller genau beschrieben, was er gesehen hat. Und das hat er großartig gemacht: pointiert, detailliert und mit Empathie für die Menschen, die er getroffen hat. Aber distanziert genug, dem Leser die Möglichkeit zu geben, seinen Gedanken zu widersprechen. Oder dort fortzufahren, wo er nicht mehr will.

Dorrit Bartel
Dorrit Bartel ist selbst leidenschaftliche Afrikareisende, wenn sie nicht gerade selbst Reisetexte, Kurzgeschichten oder Romane am heimischen Schreibtisch in Berlin schreibt. Sie ist Mitglied bei 42er Autoren e.V. www.dorritbartel.eu.

Paul Theroux: „Ein letztes Mal in Afrika“. Hoffmann und Campe, 2017. 416 Seiten. €26.

 

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