Geschrieben am 3. September 2014 von für Comic, Litmag

Riff Reb’s: Der Seewolf nach Jack London

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– Ich gebe es zu, meine letzte Begegnung mit Jack London liegt ein paar Jahre zurück. Es muss etwa in der 7. Klasse passiert sein, als wir im Deutschunterricht genau dieses Buch besprochen haben, und ich erinnere mich nicht daran, dass es übermäßig großen Spaß gemacht hätte. Vermutlich verdankte sich diese eine Ausnahme im recht drögen Goethe- und Schiller Deutschunterrichts-Einerlei der gerade erschienenen Verfilmung des Werkes mit Raimund Harmstorf. Hängen geblieben ist davon nichts.

Heute ist mir das kaum noch erklärlich, denn »Der Seewolf« bietet einiges: Action, Drama und verdammt viel zum Nachdenken. Kurzum, es ist ein ziemlich guter Abenteuerroman.

Allerdings war Londons Buch nie nur ein Abenteuerroman, sondern besprach im Subtext auch sozialdarwinistische Thesen. Nun hat »Splitter« eine Adaption des Jack London Klassikers von dem französischen Comickünstler Riff Reb’s vorgelegt und zeigt, wie mitreißend solche Stoffe sein können.

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Die Geschichte selbst dürfte bekannt sein. Für diejenigen, die im Deutschunterricht nicht aufgepasst haben: Es geht um den verweichlichten Schriftsteller und Journalisten Humphrey van Weyden, der sich hauptsächlich mit den Feinheiten der Literatur und Philosophie beschäftigt und dessen Vermögen ihm eigentlich ein Leben ohne Arbeit ermöglichen würde, wäre er nicht durch einen Schiffbruch in die Hände des skrupellosen Käpt’n Wolf Larsson geraten. Larsson scheint das exakte Gegenteil von van Weyden zu sein, rau, menschenverachtend, und ohne eine humanistisch geprägte Moral. Wie wenig diese erste Einschätzung den Käpt’n tatsächlich trifft, stellt sich im Verlauf der Geschichte heraus, denn er zeigt sich immer wieder als außerordentlich gebildet. Trotz aller rhetorischen Schärfe gelingt es dem Helden nicht, seinen Entführer argumentativ zu überwinden, irgendwie hat der Mann doch immer Recht. Während der Käpt’n, äußerlich grobschlächtig und körperlich brutal, ausschließlich an Gewalt und Stärke als das einzig probate Mittel im Kampf ums Überleben glaubt, versucht van Weyden den Humanismus, die Logik und die argumentative Auseinandersetzung mit den Gedanken des Gegners zu propagieren.

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Riff Reb’s, vielfach ausgezeichneter Comiczeichner, der schon seit seinen Anfängen mit seiner Zeichenkunst zu begeisterten wusste, überzeugt auch hier wieder durch seine Fertigkeit, atmosphärisch dichte Zeichnungen zu schaffen, die den Leser nicht mehr loslassen. Bei »Der Seewolf« hat er, um die Stimmung zu unterstützen, seine Coloration kapitelweise monochrom, bzw duochrom angelegt. Dabei wechselt er von orange- und brauntonale Farbe über blaue Tönung bis hin zu giftgrüner Farbgebung. Das unterstützt die düstere Stimmung des Buches, schafft aber auch eine gewisse nostalgische Note, ähnlich wie bei klassischer Sepiaton-Fotografie.

Reb’s’ Stil hat sich über die Jahre von der reinen Konturlinie immer weiter hin zu einer Mischtechnik entwickelt, mit der er Formen aus Licht und Schatten modelliert und dementsprechend die Konturen an Bedeutung verlieren. Das tut diesem Werk besonders gut. Seine Nähe zu Stichen des späten 19. Jahrhunderts oder der Ästhetik der oben schon erwähnten Fotografie bringt eine nostalgische Note ein, oft muss man an klassische Illustrationen in Abenteuerromanen denken. Dabei gelingt ihm aber, die Zeichnungen weder altbacken noch langweilig zu gestalten, der Seitenaufbau, die Perspektiven, die Schnittfolgen, alles passt und macht Spaß zu lesen.walfang1

Die Kritik des Feuilletons, es gäbe zu wenig Diskurs in diesem Band, der theoretische Auseinandersetzung mit der sozialdarwinistischen Grundthematik würde zu wenig Platz eingeräumt, kann ich nicht teilen. Reb’s hält sich eng an die Vorlage, ohne viel hinzuzudenken, das ist richtig, denn der grundsätzliche Konflikt Humanismus und Aufklärung gegen die Macht des Stärkeren, der diese Geschichte durchzieht, bleibt beim Lesen deutlich hängen.

Tatsächlich muss man sich angesichts der weltweiten Umwälzungen fragen, ob der Anti-Held der Geschichte, Käpt’n Larsson mit seiner Ansicht, nur der Stärkere verdiene das Überleben, nicht sogar recht hat: in Syrien, in Ägypten, in der Ukraine, überall kann man Zeichen dafür sehen, dass sozialdarwinistische Weltbilder auf dem Vormarsch sind, Moral als zweitrangig und der Humanismus als Kopfgeburt von verweichlichten Faulenzern erscheint, die dieses Gedankenkonstrukt aus reiner Notwehr entwickelt haben. In all diesen Krisenherden setzen sich derzeit die brutalsten, skrupellosesten Verbrecher gegen die Menschlichkeit durch. Wer rücksichtsloser seine Gegner beseitigt – und damit ist durchaus (im Comic wie im wahren Leben) die endgültige körperliche Auslöschung gemeint – der bleibt an der Macht, die Schwachen sterben.

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(Let’s learn Judo with Vladimir Putin)

Es scheinen immer die Bullies zu sein, die sich durchsetzen, diejenigen, die durch Rücksichtslosigkeit und Gewalt ihren Willen erzwingen. Für die sanfteren, nachdenklicheren Menschen scheint dieser Kampf um die Menschlichkeit verloren zu sein. Das beste Beispiel dafür, wie ein Mann ganze Nationen vor sich hertreibt, indem er einfach rücksichtslos seine Interessen durchsetzt, ist Wladimir Putin. Auch er handelt nach dem Gesetz des Stärkeren: wer mich nicht angreift, um sich zu wehren, hat schon verloren. Humanismus ist ihm nicht nur egal, er nutzt die Zurückhaltung und die humanistische Denkweise, um sich über seine Kontrahenten im Westen lustig zu machen, sie zu manipulieren.

Als Wolf Larsson den Smutje beim Kartenspielen um viel Geld bringt, Geld, das eigentlich van Weyden gehörte, zeigen sich die Parallelen zur Politik des stärkeren deutlich. Der friedliche van Weyden wird als Zeuge und Geldgeber des Kochs von diesem in der Folge ständig bedroht. Der folgende Monolog des Käpt’n bringt dieses Denken in darwinistischen Kategorien auf den Punkt: »Die Gespräche mit ihnen amüsieren mich nicht mehr. Ihre Worte sind haltlos. Wie können Sie über ihre unsterbliche Seele schwadronieren, und sich beim Anblick eines Messers in den Händen des Kochs anpinkeln? Er kann ihnen nicht das geringste anhaben. Allenfalls kann er sie früher als erwartet auf den Pfad der Unsterblichkeit stossen. Und wenn ihnen das nicht passt, töten sie ihn! Sie befreien ihn aus seiner elendigen fleischlichen Hülle. Wer weiß? Vielleicht kommt ja ein wunderbarer Geist zum Vorschein. Seien sie altruistisch, öffnen sie die Türen des ewigen Lebens … mit einem großen Messer.«

Und tatsächlich, zermürbt von der ständigen latent herrschenden Todesangst, handelt van Weyden kurz darauf genau, nach Larsson Überzeugung und bedroht seinerseits den Koch auf den Tod. Genau wie Putin den Konflikt in der Ukraine immer wieder dadurch anheizt, dass er die Bedrohung durch die (pro)russischen Besatzer unterstützt, stachelt er die Ukrainische Armee an, irgendeine Handlung zu vollziehen, die ihm eine Rechtfertigung für einen Einmarsch gibt um – wieder einmal – mit dem Recht des Stärkeren einen benachbarten souveränen Staat zu besetzen.

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Riff Reb’s bei der Arbeit

Erstaunlich ist aber auch, wie psychologisch feinfühlig London die Beziehung zwischen dem Käpt’n und van Weyden entwickelt. So sehr van Weyden Larsson hasst, er kann sich einem unheimlichen Respekt, ja sogar Verständnis für dessen Haltung nicht verweigern, in gewisser Weise beginnt er den seltsamen Mann sogar zu mögen. Dasselbe scheint sich bei Larsson zu entwickeln. Der zunächst verachtete Literat steigt durch seine Zähigkeit und Intelligenz im Ansehen des Käpt’n, wenngleich Larsson bis zum Schluss darauf beharrt, van Weyden vorzuhalten, wie falsch der Humanismus seiner Meinung nach ist.

Gute Abenteuergeschichten wollen unterhalten. Das ist hier gelungen. Auch das bittere Ende trägt sicher dazu bei, dass dieser Comic noch eine Weile im Kopf nachwirkt. Insofern ist »Der Seewolf« nicht nur die zig-ste Nacherzählung des Buches von Jack London, sondern ein zeitgemäßer Beitrag zu den Umwälzungen auf der Welt, und sehr empfehlenswert.

Hanspeter Ludwig

Riff Reb’s, Der Seewolf nach Jack London, Übersetzt von Tanja Krämling, Splitter Verlag, München 2013, 136 Seiten, Euro 24,80.

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