Erste Empfängerdaten aus dem Hamburger Comicfestival. Ein Festivaltagebuch von/an Charlotte von Bausznern.
Guten Morgen,
ihr alle, die ihr um diese Zeit aufsteht, mit ein paar Bleistiftstrichen mehr im Gesicht zur Espressokanne in der Küche schlurft und anfangt, aufzuwachen. Es gibt ein Tagesprogramm für heute.
Satelliten sind Flugkörper, genauer: Raumflugkörper zwischen Schwerkraft und Fliehkraft, sie umkreisen etwas Grundsätzliches, sind ausgerüstet mit Messgeräten und Augen und senden ihre Signale zurück zum Grundsätzlichen. Gestern ab 17 Uhr unter einem angegammelten Himmel muss es erhöhte Funkstörungen gegeben haben, die Luft zwischen Marktstrasse, Balduinstrasse, Hein-Köllisch-Platz, und so weiter, die surrt: 17 Satelliten haben ihre Bahnhöhe in frischer Comicluft erreicht und senden ab sofort für alle, die empfänglich sind. Sie befördern seltsame Dinge an unsere alten Comicfunkeraugen. Es ist also Zeit für ein bisschen Forschung in der Sache. Vorerst einmal:
Lagebesprechung
Luca Pierini und Riccardo Spalacci haben diverse Schafe und schwarze Schatten (Kinder?) auf Bäumen gezeichnet. Wie in bekannter Realität passiert bei dieser Bildfolge nicht mehr, als dass die Schafe einen durchdringend ansehen. Die Frage drängt sich auf: Waren das alles unterschiedliche Schafe oder die eine zwingende Begegnung?
Seifenblasen vor der Tür, es gesellen sich viele neugierige Spaziergänger zur Gesellschaft und den ersten Satelliten, die Statellitennavigation beginnt. Das Peacetanbul, Café Panter, Lockengelöt, Groove City, Schanzenbuchladen, Slim Jim’s, die Bahnhöhen dieser Satellitenausstellungen sind deliziös ausgewählt: Ausgestelltes und freie Illustration der Stadt fügen sich ebenso ineinander wie die Kunst in die Räume, Comic ist überall. Ein Glücksfall ist das (den man, das sei am Rande bemerkt, natürlich in einem Rausch eines zweistündigen Rundgangs auf sich einprasseln lassen kann. Eventuell sollte er aber doch mit mehr Musse genossen werden).
Denn der Hintergrund für diese Zeichnungen am Rande dessen, was man Comic nennt, ist nicht himmelsneutral, da fügen sich Fremdlichter in Sternenbilder. Ob da jetzt Schaufenster mit akribisch-gelassenen Weltuntergangsszenarien zugepflastert sind (Benedikt Rugar in der Schanzenbuchhandlung), feine Meisen sich im Pizzaformat verstecken (Alice Socal und Lilli Gärtner in einer anmutigen Schwesternschaft im duftenden Slim Jim’s), vergessene Berufe mitten auf dem Pflasterweg ein Lachen entlocken (Jan-Hendrik Hols und Freunde am Atelier 51), Hundescheisse sich eventuell wie Schokoladenkuchen auf dem Gang zum Klo darstellt (Felix Bauer in der Kogge), moderne (aber immer noch hübsche) Nixen an den Decken der Seemannskneipe tummeln (HAW-Gruppenausstellung im Seepferdchen), es nimmt halt kein Ende. Das ist ein komplettes wildes Set, das vom Hamburger Comicfestivalteam wohlweisslich im Vorfeld abgeschossen wurde. Es kommt nicht zusammen, es ist nicht mal dipolar, aus Milch und Kohle wird noch lange kein Kakao.
Sagte das Bild zur Betrachterin
Denn das gabs ja noch als Sahnehäubchen obendrauf: Das Magazin, End- und Zielpunkt dieses ausgefransten Rundgangs, war gestern so voll, dass man sich den Aufwand für die gemilchten Scheiben fast hätte sparen können. Brigitte Helbling vollführte mit ihrer Einführung, jeder Raumflugkörperstart braucht einen Abzählreim, einen Seiltanz zwischen beunruhigenden Comicwänden und mucksmäuschenstiller Publikumsmasse und nutzte die Zeit, ein Glück, um ihre These zur Rekreation des Muttermoments geschickt in Schlüpfrigkeit zu wenden. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich das Sofa eventuell doch besser dazu eignet, die Arbeiten der HAW-Studierenden zu würdigen. Besser als der Blick über diverse Schultern hinweg (zwischen den Beinen durch hab ich mich nicht getraut).
Heute also, wenn wir alle wieder wach sind: Auf in die Trabantenstadt. Es gibt: neue Inhalte und eine Suche nach den alten, die Entdeckung des Sprungpferdes, auch Kunstwerke, Silberfische, das schönste Klettbuch, Monster, Menschen, Ketten. Ein Pferd aus lauter Farben im langsamen Galopp und später morgen hab ich wieder mehr gesehen.
VORBERICHT Satelliten-Ausstellungen am Comicfestival HIER