Die Entdeckung des besonderen Moments
– Christina Bacher hat sich mit dem Schweizer Streetphotographen Thomas Leuthard zum Interview getroffen.
Welchen Reiz macht für die Streetphotographie aus?
Für mich gibt es viele Faktoren, welche mich reizen, auf der Straße zu fotografieren. Es ist das echte Leben, welches ich direkt und ungestellt erlebe und darstelle. Für mich ist wichtig, dass ich mich da bewege, wo das Leben auch wirklich zu sehen ist. Also nicht nur an den schönen Orten in den Städten, sondern da, wo sich nicht jeder hinbegibt. Ich streife durch Quartiere, Parks, Hinterhöfe und suche da nach Menschen, die mich irgendwie ansprechen, die in mir eine Faszination auslösen. Manchmal sind es aber einfach nur Lichtsituationen oder Formen, welche mich die Kamera zücken lassen. Wichtiger finde ich, dass diese Art der Fotografie fast überall möglich ist, wo es Menschen gibt.
Du bist viel unterwegs, hast in Beirut, Armenien, USA oder auch hier in Köln fotografiert. Welche Rolle spielt der Ort für das Foto?
Der Ort hat manchmal sehr viel damit zu tun, wie ein Foto entsteht oder was darauf zu sehen ist. Ein Foto, welches in Armenien gemacht wurde zeigt einen anderen Menschen, wie auf einem Foto in Köln. Vielleicht habe ich für das Foto in Armenien auch ganz andere Reaktionen geerntet als in Köln. Ferner wirken Bilder aus fremden Ländern nur schon durch die anderen Gesichter oder die unterschiedliche Umgebung für uns interessanter. Aber auch da gibt es Lichtsituationen, Farben und Formen, welche mich faszinieren und nicht zwingend direkt etwas mit dem Menschen zu tun haben.
Der zentrale Aspekt meiner Fotografie bleibt auf der ganzen Welt aber immer der Mensch, der im Zentrum meiner Bilder steht. Nur das Vorgehen, der Inhalt und die Art und Weise der Darstellung mag sich ändern.
Wie unterschiedlich reagieren die Menschen darauf, dass sie von dir fotografiert werden?
Das kommt schon sehr aufs Land bzw. die Region an. In Ländern wie Libanon oder Armenien fragen sich die Menschen, warum ein Fremder einen normalen Menschen auf der Straße fotografiert. Erklärt man es ihnen, so sind sie glücklich und stolz zugleich. In Europe oder Amerika fragen sich die Menschen viel eher, was mit den Bildern passiert und wo die Bilder schlussendlich landen. Da haben die wenigsten Menschen Freude, fotografiert zu werden.
Gehst du lieber alleine mit der Kamera los oder auch schon mal in der Gruppe?
Street Fotografie ist eine Tätigkeit, welche ein gutes Auge und Konzentration bedingt. In der Gruppe ist es zwar lustiger, aber man kann sich nicht so gut konzentrieren und ist oft abgelenkt. Ich sage jeweils geh alleine raus für Fotos und in der Gruppe für Kontakte. Beides hat seinen Reiz und manche Fotografen gehen lieber alleine raus. Für stimmt beides, je nachdem, in welcher Stimmung ich bin. Oftmals fühle ich mich alleine sehr gut und dann bin ich auch sehr schnell und mache viele gute Bilder. Es ist dann aber nach ein paar wenigen Stunden langweilig. In der Gruppe kann man halt viel mehr machen und ich finde den Kontakt zu anderen Fotografen sehr wichtig.
Mir scheint, dein Auge steht auf Tüten, Füße und auch Gesichter, die von einem schweren Leben erzählen. Wie viel Thomas steckt in den Fotos?
Meine Freunde sehen bestimmt einen Unterschied zwischen meinen Serien zu Themen und meinen wirklich sehr direkten, nahen und intimen Fotos, die aus dem Leben gegriffen sind. Es ist auch so, dass ich je nach Stimmung auch sehr unterschiedliche Dinge sehe und festhalte. Mein Auge steht auf das, was mich im Moment bewegt und was ich sehe. Das, was ich der Meinung bin, sieht gut aus, halte ich mit meiner Kamera fest. Klar passt nicht alles zusammen, klar sind Bilder dabei, die nicht immer gut sind, klar sieht man nicht immer, dass die Bilder von mir sind, aber für mich ist es wichtig, dass ich fotografiere und meine Bilder veröffentliche. Und ich denke, meine Leute und Fans möchten diese auch sehen und sind auch froh, wenn es auch mal „schlechte“ Bilder zu sehen gibt. Ich könnte ja immer nur ein Bild pro Woche hochladen, aber das würde mich langweilen und ich hätte wohl nicht den gleichen Spaß beim Fotografieren, wenn ich nicht posten kann.
Du gehst manchmal sehr nah ran. Wo ist für die Grenze?
Ich sage dann jeweils, dass die Naheinstellungsgrenze vom Objektiv die Grenze ist. Da wo man noch scharf stellen kann. Aber natürlich ist die Grenze bei jedem verschieden. Ich gehe so nahe ran, wie ich mich traue und wie es die Situation bzw. die Bildgestaltung ermöglicht. Manchmal kann man nicht näher ran, weil es vom Bildausschnitt nicht mehr geht. Wichtiger finde ich, dass jeder weiß, wo seine Grenze liegt. Für mich gibt es keine feste, die wird immer wieder neu definiert. Es ist auch nicht so, dass ein Bild besser wird, wenn man näher ran geht. Irgendwann geht diese Formel nicht mehr auf. Klar soll man sein Hauptmotiv zeigen können und es soll nicht im Straßenbild untergehen. Also ist eine gewisse Nähe Pflicht. Aber es bringt nichts, den Leuten ins Gesicht zu springen, weil Portraits nicht wirklich eine Geschichte erzählen.
Welche Ausrüstung ist ideal? Wie wichtig ist Glück und natürlich die Intuition für besondere Momente?
Diese Frage wird mir fast täglich gestellt. Ich habe über die Jahre bemerkt, dass die Intuition bei mir oftmals das ist, was ich nicht erklären kann. Ich kann nicht sagen, warum ich etwas so mache bzw. was ich denke, bevor ich auslöse. Ich sehe etwas, komponiere das Bild und drücke ab. Mehr mache ich nicht. Die Kamera steht auf P, hat einen Autofokus und Gesichtserkennung. Auch wenn ich das technische Knowhow hätte, alles manuell zu bedienen, so fehlt mir oft die Zeit, es zu tun. Für mich ist 49% eines guten Bildes das Auge und 49% die Bildgestaltung, da hat die Kamera nichts damit zu tun. Die Kamera hält das Bild fest, wenn sie einigermaßen das ausführen kann, was ich von ihr erwarte. Aber die Kamera macht nicht mehr, als das einzufangen, was ich ihr komponiert habe, bevor ich abdrücke.
Eine zu langsame Kamera verpasst den Moment, eine schnelle Kamera hält in fest. Ob sie nun einen großen oder kleinen Sensor, ein großes oder kleines Gehäuse, ein lichtstarkes oder normales Objektiv hat, ist nicht so relevant. Wenn ich es nicht sehe, kann es die beste Kamera nicht festhalten. Und die fehlenden 2% sind dann noch Glück, etwas im Bild zu haben, was dazu passt, aber dem Auge entgangen ist. Dies passiert mir relativ oft. Aber die 2% alleine machen noch lange kein gutes Bild.
Und wer nun immer noch denkt, er könne mit einer besseren Kamera bessere Bilder machen, der kaufe sich doch den Tennisschläger von Roger Federer, die Pfannen von Paul Bocuse, die Gitarre von Jimi Hendrix oder das Auto von Michael Schuhmacher.
Warum fragst du nicht, ob du das Foto veröffentlichen darfst? Wie gehst du mit der rechtlichen Frage um?
Das Problem beim Fragen ist relativ einfach erklärt. Frage ich vorher, schauen sie anders in die Kamera. Frage ich nachher, muss ich eventuell ein Bild löschen. Und zum Veröffentlichen muss man noch sagen, dass man dies am besten auf Papier regelt. Und wer würde auf der Straße einem Fremden ein Model Release Vertrag unterzeichnen?
Das geht einfach nicht und wäre viel zu aufwendig. Klar ist das veröffentlichen der Bilder ohne die Zustimmung des Abgebildeten nicht erlaubt. So gesehen ist Street Fotografie verboten, denn ich veröffentliche jedes Bild ohne Zustimmung. Ich trage das Risiko einer Klage, weil mein Interesse am Menschen grösser ist, als die Angst vor dem Gesetz. Das muss aber jeder für sich entscheiden.
Christina Bacher
Ein CM-Porträt von Thomas Leuthard finden Sie hier & mehr von seinen Fotos hier.
Alle Fotos: Copyright Thomas Leuthard unter der creative commons license.