Rechtswende! Rechtswende?
Zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die wie Jutta Ditfuhrt in Zeiten des allgemeinen Werteverlustes ihre alten Welt- und Feindbilder konservieren, hat auch etwas durchaus Beruhigendes… Von Carl Wilhelm Macke
Beruhigend zu wissen, dass es noch Publizistinnen wie Frau Ditfurth gibt. In der allgemein herrschenden und immer mehr zunehmenden „neuen Unübersichtlichkeit“ wie Habermas es weiland auf den Begriff brachte, sind professionelle Zeitdeuter wichtig, die ‚links’ und ‚rechts’, ‚oben’ und ‚unten’, ‚konservativ’ und ‚progressiv’ noch zu unterscheiden wissen. Von Frau Ditfurth aus gesehen, ist die Welt jedenfalls noch in Ordnung. Politisch ‚links’ ist da, wo sie sich gerade aufhält. Und die „Rechte“ befindet sich logischerweise von ihr aus gesehen ‚rechts’. Sie versteht sich als ‚progressiv’ und wer ihre Meinung zum Lauf der Welt vielleicht nicht so ganz teilt, verdient wahlweise das Etikett „rechts“ und/ oder „reaktionär“. So einfach ist das. Und seitdem sie die politische Öffentlichkeit mit ihren Stellungnahmen, Büchern und Broschüren beglückt, registrieren wir eine ununterbrochene ‚Rechtswende’ in Deutschland.
Seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts also, müssen wir uns mit dieser ‚Rechtswende’ herumschlagen. Jüngst war es wieder einmal so weit. Da nagte man in erlauchter Runde an dem Endlosknochen ‚68’. Auf dem Podium, so entnehmen wir diversen Pressemitteilungen, stritten u.a. der brandenburgische Innenminister General Schönbohm, der Historiker Götz Aly und eben auch besagte Frau Ditfurth. Dass der Herr General a.D. sich stolz als Repräsentant konservativ-nationaler Gesinnungen versteht, ist weiter nicht der Rede wert, sondern eine Tatsache. Frau Ditfurth aber nahm sich ganz besonders den Alters- und ehemaligen politischen Genossen Aly vor. Seine bekannten Thesen zur Nazi-Nähe einzelner Aktionsformen und Parolen aus der 68er-Zeit sind sehr diskussionswürdig, aber sind sie gleich Ausdruck einer ‚Rechtswende’, wie Frau Ditfurth als selbsternannte ‚linke’ Zeitgeistdeuterin Aly angeblich entgegenschrie?
Und was ist überhaupt eine ‚Rechtswende? Sind der regelmäßige Besuch von Opernaufführungen in München, von katholischen Messen in Köln, von Modeboutiquen in Düsseldorf, Galopprennen in Baden-Baden oder Kunstgalerien in Berlin Symptome einer „Rechtswende“? Beginnt die politische ‚Rechtsdrehung’ wenn man einer ‚amnesty-Recherche über die Pressefreiheit auf Cuba mehr vertraut als einem Communique der ‚Linkspartei“? Steht ‚rechts’ wer in medizinethischen Streitthemen christliche Positionen für zumindest bedenkenswert ansieht? Ist man bereits ein ‚Rechter’ wenn man versucht, den ‚Emanzipationsschub’ durch die Studentenbewegung der sechziger Jahre heute differenziert zu interpretieren?
Der politischen Linken, so formulierte es einmal der acht Jahre unter Mussolini inhaftierte linke Intellektuelle und spätere Gewerkschaftsführer Vittorio Foa, fehlt ein Gespür für die Notwendigkeit einer ‚zivilen Rechten’ in der demokratischen Gesellschaft. Die Stärke des ‚Berlusconismus’ in Italien hat nach Foa auch mit der Schwäche ‚linker’ Zeitdiagnose und Aufklärung zu tun. Im Mantra der Frau Ditfurth wäre aber auch das bereits ein bedenkliches Zeichen einer politischen „Rechtswendung“. Zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die wie Jutta Ditfuhrt in Zeiten des allgemeinen Werteverlustes ihre alten Welt- und Feindbilder konservieren, hat auch etwas durchaus Beruhigendes…
Carl Wilhelm Macke