Geschrieben am 17. Juni 2015 von für DVD, Kolumnen und Themen, Litmag

Youngtimer-Check: Land of the Dead von George A. Romero

land-dead3Drastische Zeiten verlangen drastische Metaphern

– Die weltweiten Flüchtlingskatastrophen erinnern Christopher Werth an eine Splatter-Parabel aus dem Jahr 2005.

Am 13.6.2015 hat das türkische Militär in der Grenzstadt Tal Abyad gemeinsam mit Kämpfern des Islamischen Staats vergeblich versucht, anrückende Flüchtlinge aus Syrien abzuwehren. Bilder von verzweifelten Menschmassen, die Stacheldrahtzäune eindrücken, gingen um die Welt.

Zur kollektiven Wahrnehmung solcher Bilder bietet der Regisseur George A. Romero in seinem Film “Land of the Dead” eine Parabel. Er ist der Godfather of Zombies. Er hat das Genre im Alleingang erfunden, freigelassen und auf die Reise geschickt. Was in den unzähligen folgenden Filmen und Videospielen meist nur der reinen Abschlachterei dient, war bei ihm anders motiviert: Er hat sich des Trash bedient, um mit höchstem Unterhaltungswert politische Inhalte zu platzieren. Seine drei ersten Zombie Filme –  die Living Dead Trilogie Night of the Living Dead (1968), Dawn of the Dead (1978) und Day of the Dead (1985) – sind Meilensteine des Genres und darüber hinaus. Nach 19 zombiefreien Jahren hat er sich dann in den Nullerjahren aus seinem eigenen (mittlerweile auch für ihn selbst zu großen) Schatten getraut, um drei weitere “Dead”-Filme zu drehen. Der erste davon ist der Film, um den es hier geht. Mit dabei sind Dennis Hopper und der The Mentalist-Darsteller Simon Baker.

Das dystopische Setting des Films ist eine durch breite Wassergräben und Elektrozäune abgesicherte Stadtruine, die einmal ein Teil der US-Stadt Pittsburgh gewesen ist. Die Welt darin und darum ist in drei Schichten eingeteilt. Es gibt ein paar wenige reiche Menschen, die es im “Fiddler’s Green”, einer Art Trump-Tower, richtig schick haben. Dann gibt es viele arme, oft kränkelnde Stadtbewohner, die Drecksarbeiten erledigen müssen. Nämlich sich in das Gebiet der dritten Schicht, der Zombies, begeben und das apokalyptisch zerstörte Land nach Vorräten und Nahrung zu durchsuchen. Dabei haben sie einen Trick entwickelt. So wie früher Eroberer die Ureinwohner mit Feuerwasser und Glasperlen abgespeist haben, zünden sie Feuerwerkskörper. Die Zombies bleiben daraufhin regungslos stehen und gaffen debil nach oben. Die armen Stadtbewohner sind im Grunde kaum besser dran als die Untoten. Aber sie lassen sich alles bieten – viele haben den Aufsteiger-Traum, selbst einmal nach “Fiddler’s Green” zu ziehen. Diese Illusion hält sie bei der Stange. Aber: Die Revolution kommt. Nur aus einer vollkommen unerwarteten Richtung. Nämlich von den Zombies. Big Daddy, der dunkelhäutige Zombie-Tankwart, lässt sich das alberne Feuerwerk nicht länger bieten. In ihm regt sich dumpf ein Echo seines früheren Bewusstseins. Er kann sich nicht mehr mit seinem eigenen Zombie-sein zufrieden geben. Und nach einem weiteren Massaker der Stadtbewohner an seinesgleichen fällt sein Blick auf den in der Ferne leuchtenden Tower von “Fiddler’s Green”. Rostig knirschend stellt sein Restbewusstsein eine Verknüpfung zu den Ereignissen her. Und er beginnt, seine Kollegen zu “organisieren”, um mit ihnen in Richtung der Stadt zu humpeln…

Aus Sicht vieler Bürger, Religionsangehöriger, Militärs und Regierungen unserer Welt sind Flüchtlinge wie Zombies: Eine Epidemie. Eine angsteinsflößende, unkontrollierbare Masse, die man sich mit allen Mitteln vom Leib halten und gegebenenfalls auch versenken sollte. Trotz Genfer Flüchtlingskonvention. Nach der ist ein Flüchtling eine Person, die sich außerhalb ihres Heimatstaates aufhält, da ihr dort aufgrund ihrer Ethnie, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung droht. Kurz: jemand, den niemand haben möchte.

Um nur mal auf ein paar der aktuellen Szenarien zu verweisen: Das Mittelmeer wird von Europa mit Milliarden-Investitionen geschützt, hier kämpfen die Satellitenüberwachung Eurosur und die hart zupackende Agentur Frontex für eine saubere Grenze. Und trotzdem können sich Mittelmeerregionen wie Lampedusa vor Bootsflüchtlingen kaum retten. Und obwohl tausende Menschen ertrinken, wird das Rettungsprogramm „Mare Nostrum“ durch das Abschottungsprogramm „Triton“ ersetzt. Unter dem Motto “Die Toten kommen” machen die Aktionskünstler des Zentrum für politische Schönheit gerade darauf aufmerksam, in dem sie ertrunkene Flüchtlinge in Berlin beerdigen. Die Türkei hat bisher 1,8 Millionen Syrer aufgenommen, die vor dem Islamischen Staat fliehen mussten, auch weil sie der falschen Religion angehören. Vor der Thailändischen Küste wurden im Mai 2015 Boote aufs offenen Meer zurückgeschleppt, weil kein Land sich mit ihnen belasten möchte. Die Vertriebenen sind größtenteils Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya, die in Burma mindestens unerwünscht sind.

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Und wenn sie sich – wie unter Big Daddy in Land of the Dead – mal alle zusammen täten? Heute ist das Verhältnis der Bevölkerung der reichen Länder zur Bevölkerung der so genannten Entwicklungsländer ähnlich dem Verhältnis von Adel zum Pöbel in Frankreich, bevor im Jahre 1789 die Köpfe rollten. Bleibt nur die Frage: Wann tun sie es endlich? Wie man in der Türkei an den eingedrückten Stacheldrahtzäunen gesehen hat, sind sie auf Dauer auch vom Militär nicht aufzuhalten.

Es ist Zeit, Flüchtlinge als einzelne Menschen zu sehen, und nicht als keimverseuchte Masse. Und vielleicht auch, um etwas zu tun. Jetzt.

Christopher Werth

USA/Frankreich/Kanada 2005. Regie: George A. Romero. Drehbuch: George A. Romero. Produktion: Bernie Goldmann, Peter Grunwald, Steve Barnett. Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek. Kamera: Miroslaw Baszak. Schnitt: Michael Doherty. Schauspieler u.a.: Simon Baker, John Leguizamo, Dennis Hopper, Robert Joy, Asia Argento

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