Der Dichter mit den aufgekrempelten Hemdärmeln
– Menschen, die Gedichte schreiben und lesen, stellt man sich immer als etwas vergeistigte, irgendwie von der Welt abgewandte Wesen vor. Leicht oberhalb der Erde schwebend, vielleicht mit elegantem Sonnenhut im Sommer, im Herbst mit melancholischem Blick durch Seitenstraßen schlürfend, immer weit ab vom ‚Mainstream’ nach Versen suchend, die noch niemand gesagt oder geschrieben hat. Typ Rilke oder vielleicht die Bachmann. Ganz anders war da Seamus Heaney, den man sich eigentlich immer nur vorstellen konnte mit aufgewickelten Hemdsärmeln am Tisch sitzend, vielleicht ein Whiskeyglas in Reichweite, vor sich ein Blatt Papier und mit irgendeinem grob geschnitzten Bleistift in der Hand. Oder mit einem Spaten den Ackerboden bearbeitend. Nicht von ungefähr trägt sein vielleicht berühmtestes Gedicht auch den Titel ‚Digging“ ( Graben ) und es reicht, es ganz zu zitieren, um dem Dichter Seamus Heaney und seiner Auffassung von Poesie sehr nahe zu kommen:
Digging
Between my finger and my thumb
The squat pen rests; snug as a gun.
Under my window, a clean rasping sound
When the spade sinks into gravelly ground:
My father, digging. I look down
Till his straining rump among the flowerbeds
Bends low, comes up twenty years away
Stooping in rhythm through potato drills
Where he was digging.
The coarse boot nestled on the lug, the shaft
Against the inside knee was levered firmly.
He rooted out tall tops, buried the bright edge deep
To scatter new potatoes that we picked,
Loving their cool hardness in our hands.
By God, the old man could handle a spade.
Just like his old man.
My grandfather cut more turf in a day
Than any other man on Toner’s bog.
Once I carried him milk in a bottle
Corked sloppily with paper. He straightened up
To drink it, then fell to right away
Nicking and slicing neatly, heaving sods
Over his shoulder, going down and down
For the good turf. Digging.
The cold smell of potato mould, the squelch and slap
Of soggy peat, the curt cuts of an edge
Through living roots awaken in my head.
But I’ve no spade to follow men like them.
Between my finger and my thumb
The squat pen rests.
I’ll dig with it.
Geboren wurde Seamus Heaney 1939 in dem nordirischen Dorf Anahorish. Unter acht Kindern einer einfachen klein bäuerlichen Familie wuchs er auf. An das Schreiben von Gedichten dachte hier niemand, eher an das Graben auf dem Acker, die Erntearbeit, die Messe und das Fußballspiel am Sonntag. Hin und wieder im Pub am Abend. Seamus aber gelang es, sich aus diesem harten, vorgezeichneten Alltag zu befreien. Er Besuchte die Schule, später dann die Queen’s University in Belfast. Früh entdeckte er seine Liebe zur irischen Lyrik, begann in Studentenzeitungen über sie zu schreiben, versuchte selber erste Gedichte zu Papier zu bringen. Diese Leidenschaft ließ ihn dann sein ganzes Leben nicht mehr los. Er unterrichtete als Englisch-Dozent an der Universität von Belfast, schrieb immer mehr und immer fundierter über die großen englischsprachigen Poeten. Immer sicherer wird er auch im Schreiben von Gedichten. Eine Auswahl seiner späteren Arbeiten und Reden zur „Verteidigung der Poesie“ sind 1996 im Hanser Verlag in einer deutschen Übersetzung erschienen.
Mit den Jahren wird er einer der ganz Großen in der englischsprachigen Welt, wird zu Gastvorlesungen nach Harvard und Boston eingeladen. 1995 dann wird sein Lebenswerk mit dem Literaturnobelpreis gekrönt. Spätestens dann wurde er auch in Ländern jenseits des angloamerikanischen Raums bekannter. Nach der Ehrung in Stockholm wurde es dann wieder ruhiger um Heaney. Man hörte und las nur noch wenig von ihm. Im Jahr 2006 erlitt er einen schweren Schlaganfall, der ihn dann auch am Reisen und wohl auch am Schreiben von neueren Gedichten behinderte. Ende August 2013 ist Seamus Heaney gestorben. In dieser Jahreszeit wird auf dem Land die Ernte eingefahren. Ein großer Teil der literarischen Ernte von Heaney, dem Farmersohn aus Nordirland, liegt im Deutschen vor. In seinen „Oxford Lectures“ ( „Verteidigung der Poesie“, 1996) zitiert er eine Strophe aus einem seiner frühen Gedichte, in der er wunderbar das verteidigt, was die Stärke von Poesie sein kann:
„So helfen uns Gedichte leben:
Bilder des Siebs, durch die das Leben
uns streicht; nehmen und geben
uns rechtes Maß
Und sind am flüchtigsten, gewähren
sie reinen Spaß“
Übersetzt von Giovanni Bandini und Ditte König
Heaney schrieb Gedichte, die nicht über der Erde schweben, irgendwo am Rande von Zeit und Raum. Sie sind tief in seiner irischen Herkunftsheimat verwurzelt, aber vermitteln auch eine Ahnung davon, was Heimatgedichte sein könnten, wenn sie nicht so schrecklich verhunzt, verkitscht und heute auch kommerzialisiert wären. Im deutschen Kontext ganz besonders, im englischen Sprachraum vielleicht etwas weniger. Auch das ist ein Verdienst von Seamus Heaney.
Carl Wilhelm Macke
Foto: Seamus Heaney, University College Dublin, February 11, 2009. Autor: Sean O’Connor, Quelle.