Geschrieben am 25. Januar 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Zum Tod von Carl Weissner

Muss man im Jenseits auf Giftschlangen achten?

fragte Carl Weissner in einem Interview 2006. Gestern Abend erreichte mich die Nachricht von Weissners Tod als Einzeiler im Mikrobloggingdienst Twitter. Erst glaubte ich, es handle sich um einen schlechten Scherz. Eine halbe Stunde später häuften sich die Rest-in-Peace-Bekundungen in den einschlägigen Foren. Das zwang mich in die Knie. Ich brauchte eine weitere Stunde um es vor die Tür zu schaffen. Auf der Runde um den Block erwachten Erinnerungen. Bilderfetzen im Wechselstrom entlang meiner vorbehaltlichen Wahrnehmung.

Im Sommer 1987 (vielleicht war es auch 1988) habe ich Carl mit seinem Sohn Mike kennengelernt. Martial-Arts-Filme schauen und dazu Bahlsen Kekse der Sorte „Afrika“ futtern sind die beiden positiven Hauptposten in meinem Gedächtnis an diese Zeit. Vor allem Mike konnte von den Karatestreifen nicht genug kriegen, während Carl in erster Linie Fauser Texte schürfte. 1990 erschien dann bei Rogner&Bernhard die von ihm herausgegebene Jörg-Fauser-Edition.

Im Sommer 2007 bei einer Lesung in Freiburg (mit Roland Oßwald)

Und ich fing an mir all die Texte ins Gehirn zu schieben, die Carl nach Europa rübergebracht hatte, und ich in die Finger bekam. Als braver Zappa-Fan begann ich mit dem Songbuch. Die bei Zweitausendeins erschienenen fünf Bände von Burrouhgs habe ich kurz darauf in einem Aufwasch (ich glaube innerhalb von zwei Wochen) auf dem Bauernhof meines Vaters gelesen. Dann folgte Nelson Algren, danach Bukowski, dann Ginsberg, dann John Fante, dann James G. Ballard und so weiter.

Wenn ich heute über mein Bücherregal blicke, haben die meisten Bücher der von Carl übersetzten oder von ihm als Agent betreuten Autoren all meine Umzüge überlebt. Das ist, bei meinem Umzugsverhalten (wer zählt da noch?) inklusive Aussortierverfahren, eine enorme Leistung. Viele habe ich mehrfach gelesen, und die hohe Anzahl derer, bei denen ich nach der letzten Seite auf der ersten wieder angefangen habe, überrascht angesichts des literarischen Genusses kaum. Im Gegenteil, ich könnte sofort wieder zugreifen und loslegen.

Mein Kontakt zu Carl war meist sporadisch, riss allerdings nie ab. Selten drehten sich unsere Gespräche um Literatur, aber so einiges fiel auf natürlichem Wege darauf zurück.  Als ich ihm von der Grunewalder Alge berichtete (eine Algenart, die im Grunewald die Fundamente und das Mauerwerk vieler Häuser überwuchert, befeuchtet und somit zerstört), erzählte er mir, dass er in seinem Text „Death in Paris“ (er war noch nicht ganz fertig) eine Pflanze beschreibe, die die Vororte von Paris zerstöre. Und zum Schmunzeln bringen mich dann Passagen wie die folgende aus seinem Buch „Manhattan Muffdiver“: „Der geschmorte Mollusk ist hier gut,“ sagt Lin und legt ihre Chopsticks (sie hat immer ihre eigenen dabei) rechtwinklig zur Tischkante. „Bestell dir einen. Geht auf mich. Tu mir den Gefallen und verlang nicht wieder Entenfüße zum Abnagen.“ Carl erzählte mir mal, dass er als erstes im The New Yorker immer die Restaurantkritiken lese. Die Mollusken im „Muffdiver“ stammen daher (leider erinnere ich mich nicht mehr an den Namen des Restaurants, der hatte auch was Besonderes).

Über Dinge wie diese habe ich mit Carl gerne gescherzt. Zu Motzen gab es natürlich auch genügend, aber das vergeht sofort, wenn man, wie Carl, permanent damit zu tun hatte den deutschen Buchmarkt aufzumöbeln. Und das hat er in den letzten fünf Jahrzehnten geschafft wie nur wenige andere. Ich hoffe für ihn, dass nicht allzu viele Giftschlangen im Jenseits unterwegs sind.

Roland Oßwald

Mehr zu Carl Weissner finden Sie hier, ein ZEIT-Interview hier, zum Milena-Verlag geht es hier. Zum Blog von Roland Oßwald.