,,Look at me!“
Einspruch! Man macht es sich doch etwas sehr leicht, die seit einiger Zeit in den Feuilletons köchelnde „Sloterdijk-Honneth“-Debatte über das Elend des Sozialstaates und den Großmut der ‚Leistungsträger’ als „Kasperltheater der gehobenen Stände“ (Jens Jessen in der ZEIT) abzutun. Das sei doch, so ist weiter zu hören und zu lesen, nur ein Gedankenaustausch zwischen zwei philosophischen Gockeln, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Kulturjournalisten, ein Seminarangebot im Fachbereich Philosophie des Aufbaustudiums für Senioren usw. Carl Wilhelm Macke widerspricht.
Aber da geht es schon um mehr. Lässt man einmal das übliche mediale Tam-Tam und die nicht zu unterschätzenden Eitelkeiten von Meisterdenkern beiseite, stehen in diesem Streit sehr wohl Grundfragen gesellschaftlichen Zusammenlebens in Zeiten knapper Haushaltskassen zur Diskussion.
Man wird da gezwungen „Farbe zu bekennen“, auch wenn es nicht mehr so einfach ist, sich im politischen Farbenspektrum eindeutig zuzuordnen. Aber um Parteipräferenzen geht es ja auch überhaupt nicht. Um die Wahrnehmung größer und schmerzhafter werdenden sozialer Gräben in der deutschen Gesellschaft des Jahres 2009 schon eher.
Wer als Sozialarbeiter Tag für Tag mit den Überlebenskämpfen von Familien konfrontiert ist, wer als Mitarbeiter einer Caritas-Kleiderkammer sieht, wie sich Arbeitslose um die alte Klamotten der wohltätigen Reichen balgen, wer einmal vor den Toren eines Industrieunternehmens gestanden hat, das sich in einem Insolvenzverfahren befindet, wer auf den Wohnungsämtern Morgen für Morgen Menschen antrifft, die nach einer bezahlbaren Unterkunft suchen, der wird über Gerechtigkeit und Gleichheit vermutlich anders denken als die diversen Gerechtigkeitssnobs und Sozialstaatsmisanthropen, die ihre Sau immer lauter durchs Medien-Dorf treiben.
Dass Axel Honneth in seiner passionierten Attacke auf den seit Jahr und Tag mit großer Medienresonanz vor sich hin plaudernden Peter Sloterdijk die Realität der deutschen Gesellschaft im Jahre 2009 wieder in die öffentliche Verständigung über die Zukunft unseres Gemeinwesens zurückgeholt hat, ist nicht als typische „Frankfurter Verblendung“ abzuwerten, sondern sein Verdienst. Die insbesondere mit seinem Namen verbundene „Theorie der Anerkennung“ wird inzwischen weltweit – auch kontrovers – diskutiert. Dass sie gerade da ein größeres Echo findet, wo in politischen und sozialen Projekten die Ausgrenzung immer größerer Teile der ‚Überflussbevölkerung’ gespürt und erlitten wird, ist ja kein Zufall.
Jan Philipp Reemtsa – auch er einer im Jargon von Bohrer gesprochen aus der „Gemeinde der Verblendeten“, aber auch ein privater Mäzen – hat den Gehalt von Axel Honneths „Theorie der Anerkennung“ mit einen Verweis auf Arno Schmidt sehr gut beschrieben: „Nunmehr stehen seine Gestalten“, so Arno Schmidt über Charles Dickens, „finster und wortlos da; sehen Gott ins Gesicht; ziehen die Lumpen enger; und sagen nur die Anklage aller Anklagen: „Look at me!“.
„In diesem Satz“, sagt Jan Philipp Reemtsma, „ist neben der Anklage dessen, den man im sozialen Dunkel nicht sieht, ebenso das normative Ideal einer Gesellschaft enthalten, nach der man sich sehnt. Auf genau diese Pointe läuft die Anerkennungstheorie hinaus.“ Die ‚Anerkennung’ allein ändert ja noch nicht die Verhältnisse, aber man nimmt ‚die im Dunklen’ immerhin zur Kenntnis.
Das Einklagen sozialstaatlicher Leistungen führt sicherlich ebenso wenig weiter wie das Ausrufen eines „antifiskalischen Bürgerkriegs“ in den wirtschaftsliberalen Milieus des gehobenen Mittelstands. Es geht vielmehr um die Förderung eines „zivilgesellschaftlichen Aufbruchs“, in dem das „Look at me!“ handlungsleitend ist. Sloterdijk und mehr noch Bohrer rufen zum Widerstand gegen „institutionalisierte Kleptokratie“ und mit blumigen Worten zum „Steuerstreik“ auf. Nur eine „Revolution der gebenden Hand“ sei eine angemessene, ‚menschenwürdige’ Antwort auf das auch von ihnen gespürte Auseinanderreißen des gesellschaftlichen Gewebes.
Wer aber einmal versucht hat, das Wohl verarmter und ausgegrenzter Menschen durch ‚Fundraising’ bei den Begüterten, den reichen Erben und gutwilligen Bankern zu heben, bringt dieser Form der philantropischen Weltverbesserung nur eine schwache Hoffnung entgegen. Man versuche heute – um die Debatte weltweit zu öffnen – nur mal bei den „gebenden Händen“ für Menschenrechtsinitiativen (von denen es ermutigend viele in unserem demokratischen Gemeinwesen gibt) zu antichambrieren! Die Spendengelder für diese Art gemein- (und globalnützigen !) Arbeitens sind in den letzten Jahren so besorgniserregend abgeschmolzen wie die Alpengletscher.
Spannend wäre jetzt eine Debatte über die Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Solidarität gegen ‚Ausgrenzung’ und prekäre Arbeitsverhältnisse. Und wenn das nichts hilft, dann müssen eben – wie es bei Brecht heißt – die Armen ran! Das wird dann wirklich ein ‚Kasperltheater’, aber kein lustiges.
Carl Wilhelm Macke